Freitag, Juli 27, 2007

Joey Goebel – Vincent I

Lieblingsmusiker: Prince
Lieblingsserie: Die Waltons
Lieblingsfilm: Magnolia

Immer wieder hat sich die Literatur am Gegensatz zwischen Kunst und Leben gerieben. Hat ihre Helden in die Welt geschickt, damit die sich die „Hörner ablaufen“, meist auch, um ihre ideellen Lebensträume an der Prosa der Verhältnisse scheitern zu lassen. Die Künstlerfigur ist nach diesem Verständnis eine, die nicht mehr ungebrochen in ihrer Umgebung aufgehen kann. Sie hat ihrem Künstlerstatus weitestgehend zu entsagen, um in der Gesellschaft zu reüssieren, um in ihr einen sinnvollen Platz einnehmen zu können. Die Bewahrung des Künstlertums gelingt dann nur noch um den Preis des Leidens. Das Leiden wird aus dieser traditionalistischen Sicht zur Voraussetzung künstlerischen Schaffens, ja es macht ihr eigentliches Wesen aus. Genau an dieser Stelle setzt der Autor Joey Goebel seinen Vincent in die Welt, ein geniales Wunderkind, dessen vielfältige Begabungen in seiner trostlosen, bildungsfeindlichen Umgebung kläglich vernachlässigt würden, wäre da nicht Harlan. Harlan arbeitet im Auftrag von „New Renaissance“, einem Unternehmen, das der todkranke und nahezu allmächtig gezeichnete Medienherrscher Foster Lipowitz neu ins Leben gerufen hat. Mit „New Renaissance“ soll das schlechte Gewissen von Lipowitz reingewaschen und eine durch Mainstreamprodukte weichgespülte Kultur- und Unterhaltungsindustrie wieder mit hochwertigen Gütern versorgt werden. Harlan nimmt also Einfluss auf die künstlerische Produktivität des kleinen Genies, indem er dessen Leben zum Leiden macht. Er tötet Vincents geliebten Hund, bezahlt seine Mutter dafür, dass sie sich davonmacht und verleitet die wenigen Frauen, die sich für Vincent interessieren, ihn zu quälen und schließlich zu verlassen. Als Vincents „Manager“ erzielt Harlan damit das von „New Renaissance“ gewünschte Ergebnis: Vincents fortwährende Leiden inspirieren ihn zu immer neuen hochwertigen Kunstwerken. Zwei zutiefst moralische Fragen werden hier aufgeworfen, aus denen der Roman seine ganze Spannkraft bezieht: Zum einen: Ist es legitim einen (künstlerisch hochbegabten) Menschen leiden zu lassen, wenn davon die Allgemeinheit profitiert? Und zum anderen: Kann (und soll!) einer Gesellschaft, in welcher der „Erfolg“ von Kunst vom Grad ihrer Belanglosigkeit abhängt, überhaupt noch geholfen werden? Ob der Roman diese Fragen zu genüge (und eindeutig) beantwortet, ob diese Fragestellung überhaupt so selbstverständlich und zulässig ist, soll jeder Leser für sich selber entscheiden. Harlan zumindest entscheidet sich am Ende für eine Auflösung. Bis dahin durchläuft er mit Vincent 12 Stationen einer Leidensgeschichte, die jeweils mit dem Namen einer Frau betitelt sind. Ob Rachel oder Norma Jean, jeder Kummer bekommt so eine konkrete Überschrift. Die Kunst, das Leiden und das Ewig Weibliche: Alles also wie gehabt.

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