Dienstag, August 29, 2006

Tote Bilder: Battle In Heaven

Fellatio zu Beginn und am Ende der Geschichte. Jeweils derselbe neonkalte Raum, dieselben Akteure, nicht einmal ein Stellungswechsel hat stattgefunden. Und doch gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Szenen. Welchen?

Die Bilder in diesem Film sind Tableaux Vivants: Als Analogie, wenn sie archetypische Konflikte (Schuld, Betrug) und Beziehungsgeflechte (Abhängigkeit) nachstellen, aber auch als Negativ, indem Sie menschliche Stillleben präsentieren, deren düstere Regungslosigkeit ihr Pendant in einem schwerfälligen Erzählstil findet; und vor allem in der teilnahmslosen Mimik der Akteure. Denn selbst wenn Sie weinen, zuckt nicht ein Muskel in diesen lethargischen Gesichtern. Lediglich stumme Tränen zeugen von ihrer Trauer. Emotionen verschaffen sich in diesem Film wenn überhaupt dann nur in Aktionen Ausdruck: beim Sex, Autofahren oder Töten etwa. Doch auch ein Mord stellt hier keinen Höhepunkt dar, er gehört zum Fluss behäbiger Bilder (hierzu passt, dass sogar die expliziten Sexszenen den Orgasmus der Beteiligten aussparen). Zum Schluss dann also noch einmal ein Blow-Job: Endlich sprechen die Partner miteinander, scheinbar haben sie nun gelernt, miteinander zu kommunizieren, sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen und vor allem: zu Lächeln! In ihre Gesichter ist Bewegung gekommen. Doch ist diese letzte Szene bezeichnenderweise ebenfalls nur ein heraufbeschworenes Bild, eine Wunschvorstellung des Anti-Helden Marcos vielleicht. Das junge schöne Mädchen und der dicke ältere Mann: Sie beide sind da schon tot. Ein Film, der von seinen toten Bildern lebt.

Dienstag, August 22, 2006

Byrne, Baby, Byrne!

(Foto folgt auch hier, äh, demnächst) Century Of Song in der Jahrhunderthalle, 20. August 2006. Joe Henry hat bereits neun Alben veröffentlicht, ich hatte bis letzten Sonntag noch nie was von ihm gehört. Warum eigentlich nicht? Warum setze auch ich zu oft auf diejenigen, die am lautesten Schreien bzw. über die so laut geschrieen wird? Warum wundere ich mich dann immer wieder über langweiligen Lärm? Selber Schuld. In all dem Krach und der eigenen Bequemlichkeit geht jemand wie Joe Henry schnell unter, dabei ist es gerade sein herrlich unprätentiöses Auftreten, welches für ihn einnimmt. Seine Musik ist im besten Sinne des Wortes schnörkellos. Sie ist schwerblütig genug, um zu berühren und gewandt genug, um zu begeistern. Oft habe ich während seines Spiels den Kopf in den Nacken geworfen und mir von den zuneigungsvollen Tönen, die da von der Bühne kamen, das Kinn kraulen lassen. Das Publikum wurde ganz langsam, immer höher, auf einen Gipfel geführt, und dort angelangt bekam es dann eine überwältigende Interpretation von Gershwins „It Ain't Necessarily So“ geboten (Popsongs sind wie Prostituierte: Jeder, der genug zahlt, darf sich daran vergreifen. In einigen Fällen macht sie das nicht weniger einzigartig oder begehrenswert. Ich mag übrigens auch das Cover von Bronski Beat). Zum Abschied, wir waren wieder sicher im Tal angelangt, spielte Henry dann noch „Flag“ vom letzten Album „Tiny Voices“. Prädikat: unbedingt kaufen!

Als David Byrne dann auf die Bühne tritt, ist das erste, was A. zu mir sagt „Lichtgestalt“: das hellgraue Haar, der weiße Nadelstreifenanzug – um ihn herum leuchtet die Aura des Künstlers im Zeitalter seiner Unkompromittierbarkeit. Dass er recht ulkig auf der Bühne herumstakt, ist natürlich nur Show und soll den Zuschauer in die Irre führen. Es geht sofort standesgemäß zur Sache mit „Nothing But Flowers“, erst einmal nur mit schlanker Bandbegleitung. You got it, we got it. Unter dem Kronleuchter, im hinteren Teil der Bühne, warten die Duisburger Sinfoniker auf ihren Einsatz. Als der kommt, geht die Revue los, wobei die Elemente klassischer Musik in den Hintergrund geraten und eher so etwas wie ein folkiger Big-Band-Sound geschaffen wird, irgendwo zwischen Los Lobos und Las Vegas. Byrnes Lust an der eigenen Verspieltheit scheint keine Grenzen zu kennen: Eigenes folgt auf Giuseppe Verdi, Heads-Songs folgen auf Country-Klassiker (schön, dass dazu Joe Henry noch einmal auf die Bühne kommt). Die Würfel fallen immer wieder neu, man weiß nie, was als nächstes kommt. Warum auch, die Langeweile ist gerade woanders, das Publikum euphorisch. Es gibt eine Zugabe, noch ein paar Verbeugungen und dann ist er vorbei, der Abend, an dem alles gepasst hat. Vor allem das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. This Must Be The Place.

Mittwoch, August 16, 2006

Dons Deppen I – Oliver Geißen

Oliver Geißen ist der Sohn eines Fischhändlers. „Er wollte zunächst Tierarzt werden“, heißt es im Wikipedia-Artikel über ihn. Fischhändler und Tierarzt – das sind ehrenwerte Berufe. Immerhin fordern sie einen freiwilligen (und sinnvollen, weil für andere nützlichen) Umgang mit Gestank. Weder tote Fische noch kranke Tiere riechen besonders gut. So etwas verdient den höchsten Respekt. Oliver Geißen ist jedoch nicht Tierarzt, sondern Depp geworden, und man darf sich nun die Frage stellen, an welcher Weggabelung seiner Biographie er die Richtung zum Deppen eingeschlagen hat. Waren es die zwei Jahre Bundeswehr? Hat er für den Kommiss (verständlicherweise) aufgehört zu denken und danach einfach nicht wieder angefangen? Oder ist ihm während seiner Zeit bei den Hamburg Blue Devils ein Football mal zu derbe gegen die Birne geknallt? Wir wissen es nicht – und doch gibt uns der Wikipedia-Artikel einen heißen Tipp: „Seine ersten Moderationsschritte wagte Geissen beim privaten Jugendsender "OK Radio" in Hamburg und erreichte in der Hansestadt dadurch eine große Bekanntheit.“ Das ist es! Allein schon „OK Radio“ klingt ja mindestens so bekloppt wie "OK Italia". Hier muss Oliver Geißen in ungezählten Moderationsstunden das schwierige Handwerk des die Einfältigkeit der geladenen Gäste süffisant Überbietenden gelernt haben. Man denke nur an den Auftritt von Hubert Kah in irgendeiner der von Geißen moderierten 80er-Shows. Kah, der sichtlich verwirrt und vermutlich unter Drogeneinfluss was von einer neuen Single, die aber noch nicht gepresst sei, faselte, wurde in seinem Redefluss von Geißen mit einem eloquent-herablassenden „Ahhh…ja!“ abgekanzelt. Bereits zuvor kam von Geißen nichts als ein freches Krötengrinsen und zwei drei oberflächlich-belanglose Fragen a la „Wie war das denn damals in den 80ern?“ Kah ging gegen diese Dummheit mit der eigenen, das heißt mit endlos verschwurbeltem Eso-Geschwafel, an. Er verstieß dabei gegen die ungeschriebenen Gesetze des Non-Diskurses, des „Wir tun so als ob wir uns unterhalten, ohne wirklich etwas zu sagen“. Denn auf so eine Frage hätte er allerhöchstens mit 10 Wörtern verteilt auf zwei Sätze antworten dürfen. Stattdessen ein nicht enden wollender Rede-Schwall. Dies darf der Gralshüter des Non(sens)-Diskurses natürlich nicht zulassen, also fällt Geißen seinem Gast ins Wort bevor es zu unbeabsichtigt sinnhaften Äußerungen kommen kann. Unvergessen auch seine Erwiderung auf Désirée Nosbuschs Coming Out als Prince-Fan: Völlig überfordert von der Bekenntnis zu solch einer obskuren Leidenschaft, setzte er wieder sein bewährtes, weil Überlegenheit suggerierendes Krötenlächeln auf und verkündete ein in seiner Originalität noch nie dagewesenes „Lebt der noch?“ Die Ausdifferenzierung seiner Rede erreichte schließlich mit dem Uraltwitz über „TAFKAP-Prince“ („Wie heißt der jetzt eigentlich?“) ihren vorläufigen Höhepunkt. Klar, dass Geißen sich spätestens hier die Aufnahme in „Dons Deppen“ redlich verdient hatte, zumal er auch unfreiwillig ein nicht unwesentliches Deppen-Kriterium erfüllte: das Fremdschämen.

Dons Deppen – Das Manifest

„Dons Deppen“ ist eine auf der Blogseite „Nur die Guten“ in unregelmäßigen Abständen erscheinende Rubrik, die sich in besonderem Maße der Aufdeckung des nicht immer unmittelbar erkennbaren Deppentums verpflichtet fühlt. Dabei richtet sich das Augenmerk auf Personen der Zeitgeschichte, die sich auf (pop)kulturellem Felde durch verbürgte, penetrante und darum (den Autor dieser Zeilen) besonders nervende Dummheit hervorgetan haben. Dem aufmerksamen Leser entgeht sicherlich nicht, dass ein solches Vorhaben zunächst einmal im schroffen Gegensatz zu der Grundidee der „Guten“-Seite (wie sie ja bereits im Titel formuliert ist) steht. Mit „Dons Deppen“ hat sich der Initiator von „Nur die Guten“ nun das korrektive Negativ zur eigenen Eierkuchen-Mentalität geschaffen. Dabei trägt er ganz nebenbei auch der Tatsache Rechnung, dass es „da draußen“ (das ist dort, wo die Leserschaft sitzt) auch jede Menge Bullshit zu ertragen gibt. Anders ausgedrückt: Mit „Dons Deppen“ hält auf Dons Seite endlich auch mal ein Stück Lebenswirklichkeit Einzug. Und um den „Best of“-Anspruch von „Nur die Guten“ nicht völlig über Bord zu werfen, werden in „Dons Deppen“ natürlich nur die dümmsten Deppen vorgestellt. Versprochen!

Montag, August 14, 2006

What about the band? Maceo Parker – Domicil Dortmund – 9. August 2006

(Foto folgt demnächst) Die nächste Altherrenveranstaltung. Der Altersdurchschnitt so um die Mitte vierzig. Bis kurz vor Konzertbeginn kann man sich mühelos in die erste Reihe mogeln. Neben mir zwei Damen weit über fünfzig, eingezwängt in knappe Klamotten für Zwanzigjährige. Die Dellen ihrer nackten Oberarme reiben sich an meinem Prince-T-Shirt, auf das mich ein glatzköpfiger Typ, der auf dem Rand der Bühne sitzt und sich eine raucht, anspricht. Ob ich denn auf der Tour gewesen sei. Wir kommen ins Gespräch, verplaudern uns nett die Zeit. Um kurz nach halb neun wird es dunkel. Eine papageigrün gekleidete Dame tritt ans Mikro, erzählt irgendwas mit „funky“, man kann sie kaum verstehen. Ihr greller Dress passt auch überhaupt nicht zu den maßgeschneiderten Anzügen der Musiker, die nun auf die Bühne treten. Ein dicker Bassist schlägt den Groove vor, in den sich nach und nach alle einfinden. Der grüne Papagei krächzt munter seinen Sermon weiter, der irgendwann mal, endlich, mit „MACEO“ endet – und da steht er auch schon, dieser ältere smart lächelnde Herr mit seinem Maßanzug, der coolen Sonnenbrille und dem goldblitzenden Saxofon in der Hand. Über alles, was jetzt folgt, wurde schon tausendmal geschrieben, und es ist ein Leichtes, sich aus dem unerschöpflichen Repertoire von Phrasen und Gemeinplätzen, die es zu Maceo Parker live gibt, zu bedienen. Einer dieser Sätze stammt von ihm selbst: "Two Percent Jazz and 98 Percent Funky Stuff!" – und das trifft natürlich auch auf den Abend im Domicil zu. Will sagen: Wer zu einem Maceo-Parker-Konzet geht, weiß, was ihn erwartet, der will auch nichts anderes sehen und hören: All die Großtaten, die der Grandseigneur im Laufe der Jahre uns schon vorgeblasen hat, natürlich viel James Brown, zwischendurch ein par Solo-Sachen oder ein Rap vom Sohn Corey Parker. Und weil uns Maceo nicht die ganze Zeit einen blasen kann, singt er auch, z.B. eine Ballade von Ray Charles, oder fordert das Publikum immer wieder dazu auf, nicht nur ihn alleine zu ehren: „What about the band?“ – noch so eine Phrase, die es am Merchandise-Stand sogar als T-Shirt gibt. Zu Recht, denn die „Band“ ist natürlich weltklasse: stets zu Diensten, aber auch antreibend, setzt sie Pointen und Akzente und vereinigt doch alles zu einem einzigen, unwiderstehlichen Groove. Wenn ich nun Greg Boyer stellvertretend für die anderen hervorhebe, dann nur, weil er direkt vor mir stand und weil er sich angesichts meines T-Shirts und meiner Huldigungen das ein oder andere süffisante Lächeln nicht verkneifen konnte. Macht nix, ich wollte halt nicht anders, als mich wie ein pubertierender Teenager freuen, der mit seinen Helden mal Tuchfühlung halten darf. Eine Erwartung wurde übrigens doch nicht erfüllt: Inklusive Zugabe spielte die Band nur zwei Stunden und fünfzig Minuten. Ein Maceo-Konzert, das unter der Drei-Stunden-Marke bleibt? Das war wirklich ungewöhnlich.

Dienstag, August 08, 2006

Juicy Beats 11 – 29. Juli 2006

Mal ganz ehrlich: Das Juicy-Beats ist im Vergleich zum Haldern die altherrengerechtere Veranstaltung: Nach einem Festivaltag kann man wieder daheim im eigenen Bett schlafen und wird nicht morgens um drei von weltschmerzgeplagten Emo-Kids geweckt, die auf das ohnehin schon klamme Zelt kotzen; man muss nicht über dem hungrigen Allesfresser-Schlund eines Dixi-Klos defäkieren, außerdem ist man in Dortmund auch dann noch styletechnisch vorne mit dabei, wenn sich das lichter werdende Haupthaar nicht mehr ohne Weiteres zum Playmobilscheitel kämmen lässt. Das alles entscheidende Argument ist jedoch: Beim Haldern ist das Wetter immer mies, beim Juicy Beats nie!

Und weil das Ding ja eigentlich schon lange gelaufen ist, hier nur das Wichtigste im Schweinsgalopp: An der Ananasbühne die mit reichlich Verspätung aufspielenden Monoland gesehen. Die wenigen Anwesenden saßen hinten oder seitlich im Schatten und nuckelten vor der knallenden Sonne geschützt am mitgebrachten Eistee-Tetrapack. Das war alles nicht besonders spannend, aber sehr gemütlich. Gleich danach ging’s weiter zum Höhepunkt des Tages: Jamie Lidell, Gewinner im diesjährigen Joan-Collins-Morgenmantel-Lookalike-Contest und Fackelträger des crooning im 21. Jahrhundert. Einnehmend, irrsinnig, druckvoll und mit einer Sprühdose Ideen unterwegs. Jamie jagte James Brown durch seine Sequenzer und anschließend durch die Menge, auf der Suche nach mehr oder weniger freiwilligen Begleitsängern. Mich hielt er wohl für einen solchen. Arm auf der Schulter, Mikro im Gesicht, 15 Sekunden Ruhm. Es gibt zwar Zeugen, aber leider keine Fotos. Kurze Atempause, rüber zur Orange. Erobique lässt sein Standardprogramm ablaufen, diesmal mit etwas mehr Bock auf Disco, mein großer Bruder Disco, mit dem ich immer wieder gerne tanzen gehe. Zwischendurch ein paar peinliche Luftpiloten auf der Bühne: Arme auf waagerecht, Handflächen nach oben und mit der Nase den Horizont pinseln. Dann im Prinzip nahtloser Übergang zu Egoexpress, die mit ihren Beats mein Rückenmark betäuben. Das ist gut so, so spüre ich meine Beine erst nach dem Set. Höchste Zeit fürs Ausstrecken auf der Festwiese, während Senor Coconut ein paar Cocktails mixen. Entspanntes Leute-glotzen. Schließlich die mit Spannung erwarteten Coldcut. Enorme Equipment-Geschütze werden aufgefahren, die Reize feuern aus allen Rohren, doch ist mir diese Klang- und Bildkakophonie zu zerfahren, die Performance zu richtungslos, als dass sie mich wirklich fesseln kann. Und kein Mensch braucht heutzutage noch ein „Pump up the volume“-Sample. Ich bin erstaunt, aber nicht ergriffen. Macht nix, dennoch der würdige Abschluss eines fidelen Tages. Freue mich schon voll auf die 12.

Donnerstag, August 03, 2006

You Can't Always Get What You Want - Das Bravo-Orakel

Wo das Bravo-Orakel gerade die Runde macht, soll es auch hier nicht fehlen:

Unter dem Titel des „Mick Jagger“ Geborene neigen zu einer gewissen Großmäuligkeit. Ihre Lippenbekenntnisse sind zahlreich, schnell schießen sie auch mal unbedarft aus der Hüfte. Sie sind sehr nachtragend, sympathisieren mitunter sogar mit dem Teufel und verlangen bei jeder Gelegenheit Satisfaktion. Ihre impulsive Art bringt gute Kumpel schon mal auf die Palme, doch dank einer sozusagen angeborenen Verlässlichkeit, stehen die Jaggeristen dann auch unten und fangen die Nüsse wie sie fallen. Im Umgang mit dem anderen Geschlecht flippern sie sich mitunter recht unbeholfen an Targets und Ejects vorbei direkt zum Tilt. Schließlich scheuen Jaggeristen mit zunehmendem Alter das Experiment. Lieber setzen sie auf Bewährtes und nölen sich bis zum bitteren Ende durch die ewig selbe Leier.

Mittwoch, August 02, 2006

EBTG / ADA – Each And Every One

Roter Tau am Morgen. Die Wunde Sex blutet noch von letzter Nacht. Müde Euphorie, die sich aus dem Fenster hängt: mein Blick entlang der grauen Wand mit weißen Quadraten, hinter denen hundert unbekannte Schicksale hausen. Mit einem von ihnen bin ich nun verbunden. Mein Finger drückt auf „Play“, süßes Lied des Anbruchs aus dem Garten Eden: Bläser boxen ein vierfaches Präludium durch den Raum, in dem sich ein Percussion-Teppich ausrollt, um zum Jazz-Matinee einzuladen. Eine dunkle Frauenstimme swingt sich zur Theke, singt zornig vom Ende einer Liebe und kippt zum Abschied noch einen letzten Drink herunter. „Being kind is just a way to keep me under your thumb and I can cry because that's something we've always done“. Was gestern Nacht begann, hat ein Ende auf Abruf. Ich drehe lauter, die Zeit, die es noch hat, will ich genießen.

Viele Jahre später schreibe ich das auf, belächle meinen in der Manier durchschnittlicher Popliteraten unternommenen Versuch, lieb gewonnene Lieder an längst vergessene Bumsgeschichten zu koppeln. Manchmal möchte man eben gerne wie alle anderen sein. Und manchmal ist es Zeit für ein neues Kostüm, das vorgaukelt, man wäre plötzlich jemand ganz anderes, „the same thing in different guise“. Auf dem Plattenteller liegt Seite C von Blondie. Was zuvor einen sexy kurzen Rock anhatte, wird hier in ein langes, kühl-hochgeschlossenes Rhythmus-Kleid gesteckt: „You tell me I'm free of the past now and all those lies“. Doch trotz der Zurückhaltung kristallisiert sich Zorn nun zu Zucker: Ehe man sich versieht, tanzt man bereits durch einen üppigen Raum aus Verführung, ergibt sich dem langen Vorspiel, bis die liebreizende Stimme endlich zaghaft einsetzt. Sie traut sich nicht so recht zu singen, lässt zum Ende hin sogar die Wiederholung einer Strophe weg. Dafür überschlägt sich der Rhythmus, dem Kleid platzen die Nähte, Knöpfe schießen umher, schließlich wackelt die ganze Bude. Ada schnürt mit ihrer Interpretation ein atemberaubendes Korsett auf, schmiert den frei gewordenen Leib mit Honig, aber auch mit ein wenig Teer ein. Damit die neuen Federn auch wirklich halten. Dabei lächelt sie lieb und denkt sich: Kleider machen heute! Ich drehe lauter, der Abruf hat ein Ende, die Zeit, die es sich nimmt, will ich genießen.

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