Freitag, November 24, 2006

Il Grillo Parlante

Wer die Abenteuer des Pinocchio gelesen hat, wird sich vielleicht noch an die sprechende Grille erinnern. Sie redet der einfältigen Holzfigur immer dann ins Gewissen, wenn sie mal wieder auf einen Schwindel hereinzufallen droht. Doch auch wenn diese pädagogische Instanz für jede Situation das rechte Handeln aufzeigt, bringt Pinocchio sie stets mit einer abweisenden Geste zum Schweigen. Seither steht „Il Grillo Parlante“ im Italienischen sprichwörtlich für ein Werte wahrendes und gerade darum mitunter lästiges Gewissen, dessen Mahnungen der genuss- und abenteuerfreudige Mensch meist gegen jede so genannte „Vernunft“ ausschlägt.

Beppe Grillo ist die sprechende Grille Italiens. Seit nun fast dreißig Jahren hat der Fernsehmoderator, Kabarettist und Satiriker die undankbare Aufgabe übernommen, seinen Landsleuten ins nicht immer reine Gewissen zu reden, Missstände anzuklagen und vor allem Politiker jeglicher Couleur die Leviten zu lesen. Dabei geht es freilich nicht so dezent zu wie im Kinderbuch, aber immer laut und gerecht. Keiner der unzähligen öffentlichen Auftritte Beppe Grillos kommt ohne ätzende Monologe, aufstampfende Füße oder verwünschende Gesten aus. Sein unermüdliches Wirken und seine Popularität wurden Anfang des Jahres in einem ausführlichen Artikel in der Zeit gewürdigt. Dort steht eigentlich alles, was der deutsche Italienfreund über ihn wissen muss. An dieser Stelle sei aber noch die regelmäßige Lektüre von Beppe Grillos Blog empfohlen, der sicher, selbstironisch, unabhängig und stets unterhaltsam durch die für deutsche Beobachter nicht immer durchsichtigen italienischen Verhältnisse lotst – und den man übrigens auch in Englischer Sprache verfolgen kann. Bada, Grillaccio del mal'augurio!

Freitag, November 17, 2006

"Teurer Mausklick"

Nach der Lektüre dieses Artikels und der Prüfung meiner derzeitigen finanziellen Möglichkeiten habe ich beschlossen, alle Fotos auf dieser Seite, die nicht von mir geschossen oder mir nicht ausdrücklich zur Nutzung freigestellt worden sind, zu entfernen. Ich bitte die dadurch entstehenden inhaltlichen und graphischen Verzerrungen zu entschuldigen - aber Ihr kommt hier ja eh nur wegen der Texte gucken, nicht wahr?

Mittwoch, November 15, 2006

Giants

Wie ungerecht: Da schreibe ich über ein Lied von The The, aber in der Überschrift steht nicht „Slow Emotion Replay“. Dabei war „Dusk“ das Album des Jahres 1993, das am nachhaltigsten meine bis dato selbstverständlich gewordenen Hörgewohnheiten umgekrempelt hat. 1993 habe ich in einem heute nicht mehr existierenden Plattenladen gearbeitet und, höchst erfreut über den nahezu uneingeschränkten Zugriff auf Musik, alles gehört, was mir in die Finger kam, auch den hinterletzten Scheiß. Bis zu jenem Zeitpunkt konnte ich mit The The nicht viel anfangen. Es gibt Musik, da muss der Zeitpunkt einfach stimmen, man muss bereit für sie sein. Furchtlos gegenüber der Infragestellung und achtsam gegenüber der Koexistenz von Werten. Als dann die kongeniale Kollaboration von Matt Johnson und Johnny Marr meinem persönlichen Befindlichkeitshorizont mal eben ein paar Welt-Hits bescherte, fühlte ich mich nicht so sehr emotional überwältigt, sondern eher wie jemand, dem man alle Lebensweisheiten als trockenen Martini zum Bitte-nur-mal-dran-Nippen gereicht hat:

„'cause I ain't ever found peace upon the breast of a girl
I ain't ever found peace with the religion of the world
I ain't ever found peace at the bottom of a glass
sometimes it seems the more I ask for the less I receive“

Ob es die schwitzige Mundharmonika im Intro von „Dogs Of Lust“, die simple Treffsicherheit von „Lonely Planet“ („If you can’t change the world, change yourself. And if you can’t change yourself then…change the world“) oder eben die Zusammenfassung meiner kleinen spät-post-post-pubertären Lebenswelt in einem einzigen Song (wie gesagt: „Slow Emotion Replay“) war: Mit dieser Platte wird Matt Johnson unsterblich sein so lange ich lebe.

Bald darauf zog ich los und legte mir einen kleinen The-The-Back-Katalog an. So als ob es nur anderer Sinneseindrücke bedurfte, um das einmal Erlebte reproduzierbar zu machen. Das konnte natürlich nicht funktionieren. „Infected“ oder „Soul Miningsind zweifellos großartige Alben, aber ein erstes Date lässt sich eben nicht wiederholen – und dann war da ja auch noch die Sache mit dem Zeitpunkt…

„Giant“, das vorletzte Lied auf „Soul Mining“ hat sich ganz langsam, über einen langen Zeitraum, unbemerkt angeschlichen. Immer mal wieder ließ ich das Album versuchsweise durch meinen Player laufen, selten ist dabei etwas hängen geblieben. Ich könnte „den Zeitpunkt“ also gar nicht benennen, jenen Moment, in dem dieses 9-Minuten-Ungetüm mich mit all seiner Kraft gepackt und im Schleudergang durchgewirbelt hat. Aus heutiger Sicht wirkt vieles an „Giant“ etwas antiquiert: das 80er-Plastik-Schlagzeug aus dem Computer, der Synthesizer-Bass oder die Afro-Percussions und Kriegspfad-Gesänge, die gegen Ende die Führung im Arrangement übernehmen. Und doch ist nichts an „Giant“ peinlich, im Gegenteil sind all diese Elemente in ihrem Zusammenspiel unwiderstehlich hypnotisch. „Giant“ ist der große Bruder vom knapp 10 Jahre später aufgenommenen „Slow Emotion Replay“. „Giant“ ist Goliath, „Slow Emotion Replay“ sein David. So ein Satz wie „How Can Anyone Know Me When I Don’t Even Know Myself“ ebnete den Weg für „Everybody Knows What’s Going Wrong With The World – I Don’t Even Know What’s Going On In Myself“. Wer den „Kampf“ der Brüder gewonnen hat? Fragt mich doch noch mal, wenn es die Letzte Ölung gibt. Reinhören.

Samstag, November 11, 2006

Phoenix - Zeche - 3. November 2006

Aus einer (für diese Seite leicht überarbeiteten) Mail, die ich neulich an R.R.R. geschickt habe:

"Großartig - dieses Attribut gehört auch zum Phoenix-Konzert. Zunächst spielten ja die Fotos-Buben im Vorprogramm. Trotz kränkelndem Sänger durchaus unterhaltsam, aber es waren halt Buben. Ein schön durchmischtes Publikum passend zum 25-jährigen Zechen-Jubiläum. Eltern hafteten für ihre Vor-Abi-Kinder. Phoenix haben dann alles umgehauen, sehr rockig, noch druckvoller als auf der letzten Platte und dabei ungemein sympathisch. Auch die alten Songs im neuen Stachelpanzer. Als Zugabe ein äußerst charmanter Gruß an die Kollegen von Air. Schließlich ist der Sänger von der Bühne gesprungen und hat die begeisterte Menge erst ums Mikrokabel und dann um den kleinen Finger gewickelt. Alle waren völlig aus dem Häuschen. Habe ein paar Fotos gemacht, die müssen aber mal wieder erst entwickelt werden. Vielleicht gibt es auch noch einen ausführlichen Bericht auf meiner Blogseite, mal sehen...
"

Freitag, November 03, 2006

Dons Deppen II - Der Deppen-Daumen

Gestern Morgen zog ich ein Werbeprospekt der Firma „Auto Teile Unger“ aus dem Briefkasten. Darauf ein debil grinsender Michael Schumacher, der seine Faust nach vorne und daran seinen Daumen nach oben reckt. Wir kennen sie alle, diese Geste des virilen Optimismus, diese Dauererektion des kleinen Mannes, der seinen phallischen Lutscher nur zu gerne in die Kamera hält, kaum dass er ihn vom nuckeln entwöhnt hat. Der Deppen-Daumen steht nämlich immer, Potenzstörungen sind ihm fremd. Doch welche Intention mag wirklich mit dieser Gebärde verbunden sein? Allein ein „Prima!“, „Spitze!“ oder „Top!“ signalisieren zu wollen, rechtfertigt noch lange nicht ihre pestizidartige Verbreitung. Verbirgt sich dahinter vielleicht eine auf den Saugreflex der Damenwelt gerichtete Provokation? Oder ist es einfach nur ein arglos übernommenes atavistisches Relikt aus einer Zeit, in der das Auf oder Ab des Daumens über Leben oder Tod entschied? Daumen hoch, hier kommt der Gladiator der Gegenwart?

Michael Schumacher ist jedenfalls in bester Gesellschaft. Kaum eine Lokalmeldung kommt heute noch ohne die Dominanz des Deppen-Daumens aus. Kein Bürgermeister, Gewerkschafts-Vertreter, Ortsvereins-Vorsitzender oder Air-Berlin-Pilot, der nicht bereitwillig den Trimm-Dich-Pfad der Selbst-Vermarktung eingeschlagen hätte. Bleibt nur zu hoffen, dass die Daumen-Diktatoren bald ihre metrosexuelle Seite entdecken und sich das Ding sonst wo hinstecken. Zum Beispiel in den Mund. Da fällt mir gerade ein: Kommt jemand mit in „Thumbsucker“?