Mittwoch, Mai 30, 2007

Massive Attack - Blue Lines (1991)

Ich schicke voraus, dass ich diese Platte erst ein Jahr nach ihrem Erscheinen entdeckt habe. 1992 – eine Zeit, in der ich noch von einem Werdegang auf den Spuren von John Peel und Alan Bangs träumte und in meiner Geburtsstadt Radiosendungen mit ulkigen Titeln produzierte. Als es zu irgendeiner dieser Sendungen mal wieder um die Musikauswahl ging, warf irgendjemand „Blue Lines“ von Massive Attack auf den Tisch. Das nüchterne Cover-Design weckte meine Neugier auf diese mir bis dato völlig unbekannte Band, also rein damit in den CD-Player. Was dann passierte, hat vielleicht nicht mein Leben verändert, aber tiefe Abdrücke hinterlassen, die heute noch zu sehen sind. Mir hat nicht so sehr die Musik an sich den Atem geraubt – die ich beim ersten Hören ohnehin nicht in ihrer gesamten Kraft verstanden habe –, sondern die Ungeheuerlichkeit, dass hier etwas geschaffen wurde, das es eigentlich nicht geben konnte. Die drei vier Musik-Seelen, die bis zu jenem Moment autark in meiner Brust schlugen, hatten sich auf dieser Platte heimlich getroffen, um gemeinsam einen neuen Sound zu erfinden. Ein Sound, der für meinen kompletten damaligen Klang-Kosmos, für charmenten Pop, krude Samples, ruppigen Rap und William DeVaughn gleichermaßen Platz hatte. Der Emotionen einzufangen verstand, von deren Existenz mir vorher niemand etwas berichtet hatte. Da gab es düstere Geborgenheit (Safe From Harm), gelangweilte Liebesschwere (One Love) und eines der besten Cover aller Zeiten und der nächsten 63 Äonen (Be Thankful For What You’ve Got – Und jetzt alle: Diamond in the back, sunroof top / Diggin' the scene with a gangsta lean). Über „Unfinished Sympathy“ haben sich vermutlich schon Myriaden von Musikjournalisten die Finger wund geschrieben. Wohl, weil auch hier mit lässiger Geste scheinbar gegensätzliche Bewegungen in eine Richtung gelenkt werden und ein warmer Streicher-Teppich sicher die auf ihm herumzappelnden Rhythmen übers Arrangement trägt. Für mich ist „Unfinished Sympathy“ übrigens undenkbar ohne den schnittlosen Übergang ins massige „Daydreaming“, so wie es als symbiotisches Ganzes auch untrennbar zum schnittlosen Video gehört. Bitte einmal klicken und ausgiebig seiner Schönheit huldigen.

Donnerstag, Mai 24, 2007

Blumfeld – Bochum – 17. Mai 2007


Wo kommen all die grauen Herren her?
Ich schau nach vorne auf den Typ,
Er segnet und er kann nicht mehr
Wo ist der blonde Jochen ill?
Ich weiß nicht, warum ich lebe,
Nur, dass ich nicht pfeifen will.
Da steht er nun und sieht unten die Menschen
Und fragt sich wohl, was kann ich tun?
Ich kanns nicht fassen
Er kanns nicht lassen,
Noch auch die letzte Schrulle als ein Stück vom Selbst zu sehen.

Wo kommen all die lauten Gröler her?
Der ganze Mob dreht sich im Kreis
Ich seh mich um und will auch noch mehr
Wann geht die weiße Lampe an?
Arbeit morgen, Schlafengehen,
Mensch, Jochen! Das macht jetzt keinen Sinn!
Dann steh ich auf und gehe bald nach Hause
Und frage mich, was soll ich tun
Ich will mich hassen
Und kanns nicht lassen
In allen Blumfeld-Platten immer auch mich selbst zu sehen.

Freitag, Mai 18, 2007

Kathy Diamond - Miss Diamond To You

Heißer Anwärter auf die Tanzplatte des Jahres. Hat den Spirit von Disco, die Tiefe von House und die Sprödikgeit von New York Noise. Kathys toughe Stimme schmiegt sich perfekt in die sichere Hand von Maurice Fulton, die mal wieder an den richtigen Reglern gedreht hat. Die außergewöhnliche Produktion vertraut voll und ganz auf wumpernde Bässe, die so ziemlich jedem Stück einen treibenden Unterbau verpassen und in ihrer Minimalistik stark an den frühen Knochenfunk von ESG erinnern. "Between The Lines", "The Moment", "Another Life" und vor allem "All Woman" sind die Club-Hits, die George Clinton zwar niemals mehr schreiben wird, die ich aber ab sofort im Standardrepertoire eines jeden Disco-DJs hören möchte. Imperativ: Halt's Maul, ich will tanzen!

Mittwoch, Mai 09, 2007

21 Nights In London

Sogar im Orangennetz hat es sich schon herumgesprochen: Prince wird 21 Nächte lang in London spielen. Sonst nirgends in Europa, jedenfalls nicht in diesem Jahr. Das ist dann bestimmt ein Rekord oder so und die wohl monozentristischste "Tour" aller Zeiten. Las Vegas oder London, Hauptsache Monetarien. Man mag sich (ein weiteres Mal) fragen, ob Prince nun komplett durchgedreht ist. Meiner Meinung nach hat er, im Gegenteil, mal wieder bewiesen, dass er ein cleverer Marketing-Fuchs ist, der sich effektvoll in Szene zu setzen weiß. Ich gehe aber trotzdem nicht hin, sondern rufe statt dessen an dieser Stelle zur ent-globalisierten Gegenoffensive auf: Unter dem Banner von "One Nite In Wattenscheid" mögen sich all jene eintragen, die Prince nicht in Britannien, sondern vor der eigenen Haustür sehen wollen. Sollten mehr als 3121 Unterschriften zusammenkommen, werde ich diese in Form einer Petition und mit breiter Rückendeckung von "Nur Die Guten" an den Meister persönlich weitergeben. Machen wir ihm also ein Angebot, das er nicht ablehnen kann! http://www.3121.com/

Samstag, Mai 05, 2007

World Party - Goodbye Jumbo (1990)

Mit dieser Platte fingen für mich die 90er an. Ich meine das völlig ernst. Nicht ein Erinnerungsversatzstück aus der eigenen Biographie, nicht irgendeine Abi-Anekdote, ja nicht einmal ein Mädchen steht am Anfang jenes Jahrzehnts. Es war diese Platte. Die erste, die mir seinerzeit wirklich etwas bedeutet hat. „World Party“ hieß das Soloprojekt von Karl Wallinger, auf das ich nur deswegen gestoßen bin, weil ich mit 18/19 noch ein kleines bisschen Hippie war und die Waterboys sehr mochte. „When The Rainbow Comes“ lief in irgendeiner 90er-Nacht im Radio – das erste Stück, das von „Goodbye Jumbo“ an mein Ohr drang (seither haben Lieder, die eingefadet werden, bekanntlich bei mir einen Stein im Brett). Sollte ich in diesem Leben noch mal eine Radiosendung produzieren, so werde ich „When The Rainbow Comes“ in Dauerrotation spielen. Am liebsten würde ich ja jeden, der das hier liest ans Bett fesseln und vor die Wahl stellen entweder sofort Sex mit mir zu haben oder sich fünfmal hintereinander „When The Rainbow Comes“ anzuhören. Zumindest letzteres würde er nicht bereuen (warum schreibe ich hier eigentlich immer „er“?). Wobei ich in meiner Schwärmerei mal wieder ungerecht urteile, denn jedes einzelne Stück auf „Goodbye Jumbo“ ist ein Ereignis (dies scheint mit den 90ern verloren gegangen: allein schon „Album“ als Konzept wirkt nunmehr obsolet, ganz zu schweigen von dem Anspruch, sich mit ausnahmslos jedem Song der Ewigkeit empfehlen zu wollen – der Popsong im Zeitalter seiner uneingeschränkten Verfügbarkeit). Der fiebrige Einstieg mit „Is It Too Late?“, die Riesenhits und Urahnen des Brit-Pops „Way Down Now“ und „Put The Message In The Box“, das in anmutiger Larmoyanz zerfließende „Ain’t Gonna Come Til I’m Ready“ oder die tatsächlich etwas hippieske Hymnik von „Take It Up“. Jeder Track ein Volltreffer! Ach ja, wer glaubt, er hätte noch nie was von Karl Wallinger gehört, der durchforste mal die heimische Sammlung nach Robbies „She’s The One“. Im Original auf World Partys „Egyptology“ zu finden. Und wer sich jetzt nicht sofort nach „Goodbye Jumbo“ die Finger wundgoogelt, wikipediert oder soulseekt, bis die Polizei kommt, der soll auf ewig verflucht sein und bis zum Ende aller Tage nur noch Platten von Damon Albarn vorgespielt bekommen.