Massive Attack - Blue Lines (1991)
Ich schicke voraus, dass ich diese Platte erst ein Jahr nach ihrem Erscheinen entdeckt habe. 1992 – eine Zeit, in der ich noch von einem Werdegang auf den Spuren von John Peel und Alan Bangs träumte und in meiner Geburtsstadt Radiosendungen mit ulkigen Titeln produzierte. Als es zu irgendeiner dieser Sendungen mal wieder um die Musikauswahl ging, warf irgendjemand „Blue Lines“ von Massive Attack auf den Tisch. Das nüchterne Cover-Design weckte meine Neugier auf diese mir bis dato völlig unbekannte Band, also rein damit in den CD-Player. Was dann passierte, hat vielleicht nicht mein Leben verändert, aber tiefe Abdrücke hinterlassen, die heute noch zu sehen sind. Mir hat nicht so sehr die Musik an sich den Atem geraubt – die ich beim ersten Hören ohnehin nicht in ihrer gesamten Kraft verstanden habe –, sondern die Ungeheuerlichkeit, dass hier etwas geschaffen wurde, das es eigentlich nicht geben konnte. Die drei vier Musik-Seelen, die bis zu jenem Moment autark in meiner Brust schlugen, hatten sich auf dieser Platte heimlich getroffen, um gemeinsam einen neuen Sound zu erfinden. Ein Sound, der für meinen kompletten damaligen Klang-Kosmos, für charmenten Pop, krude Samples, ruppigen Rap und William DeVaughn gleichermaßen Platz hatte. Der Emotionen einzufangen verstand, von deren Existenz mir vorher niemand etwas berichtet hatte. Da gab es düstere Geborgenheit (Safe From Harm), gelangweilte Liebesschwere (One Love) und eines der besten Cover aller Zeiten und der nächsten 63 Äonen (Be Thankful For What You’ve Got – Und jetzt alle: Diamond in the back, sunroof top / Diggin' the scene with a gangsta lean). Über „Unfinished Sympathy“ haben sich vermutlich schon Myriaden von Musikjournalisten die Finger wund geschrieben. Wohl, weil auch hier mit lässiger Geste scheinbar gegensätzliche Bewegungen in eine Richtung gelenkt werden und ein warmer Streicher-Teppich sicher die auf ihm herumzappelnden Rhythmen übers Arrangement trägt. Für mich ist „Unfinished Sympathy“ übrigens undenkbar ohne den schnittlosen Übergang ins massige „Daydreaming“, so wie es als symbiotisches Ganzes auch untrennbar zum schnittlosen Video gehört. Bitte einmal klicken und ausgiebig seiner Schönheit huldigen.