Hanns-Josef Ortheil – Die große Liebe
Am Donnerstag legte Lars mir einen Stapel Versuchsformulare auf den Tisch. Scherversuche. Dies bedeutet Versuchsmaterial einbauen, Messinstrumente einstellen, Gerät starten. Warten. Es dauert etwa 30 bis 60 Minuten bis etwas passiert. Dann müssen zunächst nach 1, 3, 5, 7, 10, dann alle 5 Minuten die entsprechenden Werte abgelesen und in ein Protokoll eingetragen werden. Der Versuch läuft eine Stunde. Was ich damit sagen will: ca. 2 Stunden habe ich nicht viel mehr zu tun, als auf eine Maschine zu starren, darauf zu warten dass etwas passiert und wenn etwas passiert, ein paar Werte abzulesen. Und weil ich diese Zeitverschwendung zum Kotzen finde, lese ich nebenher Bücher. Zuletzt waren das z. B.: Alex Capus "Glaubst du, daß es Liebe war?", Alain Claude Sulzer "Annas Maske" und Jonathan Franzen "Die 27ste Stadt".
Und just am Donnerstag hatte ich kein Buch dabei. Verdammter Mist, dachte ich, und schob den Versuch auf. In der Mittagspause lief ich zu Schaten im Unicenter. Ich blätterte durch die Neuerscheinungen und stieß auf "Das Verlangen nach Liebe" von Hanns-Josef Ortheil. Der Klappentext klingt gut, dachte ich, doch so ein Hardcover ist mir zu teuer. Aber da stand auch: „Nach „Die große Liebe“ hat Hanns-Josef Ortheil einen neuen Liebesroman geschrieben.“ Ich suchte nach diesem Vorgänger unter den Taschenbüchern und fand es tatsächlich. Auf dem Umschlag wird der unbarmherzige Denis Scheck zitiert, der selten ein Buch nicht in die Tonne befördert – ich nahm es mit.
Italiener in Deutschland und Deutsche in Italien, das ist immer noch ein Modethema in der deutschen Unterhaltungsliteratur und ich gebe zu, ich habe über Jan Weilers Antonio geschmunzelt. Doch so langsam geht mir der x-te Aufguss dieses Themas auf den Keks. Warum aber dann dieses Buch, in dem es genau darum geht, dass ein Deutscher für 10 Tage nach Italien fährt? Weil es ganz anders ist, weil es um die große, ernsthafte, tiefe Liebe geht, um das Meer, ums Essen, um Traditionen. Der Ich-Erzähler, ein Münchner Redakteur, will einen Film über das Meer drehen und fährt dafür nach San Benedetto. Er war nicht mehr verliebt, seit er mit 17 seine damalige Freundin mit ihrem Musiklehrer beim Cunnilingus erwischte. Daraufhin hatte er sich in kurze Affären gestürzt, hatte nur noch Interesse an Sex, nicht aber an der Liebe. Nun begegnet sie ihm doch noch, und zu sehen wie er sie festzuhalten versucht ist weder kitschig noch abgeschmackt. Fast kommt es mir vor, es ist der Rhythmus der Meeresbrandung, der ihn gefangen hält und in dem er erzählt. Und ich bin mir bis zum letzten Satz nicht sicher: kommt sie?
Anm. der Redaktion: Das mit dem Cunnilingus hab ich nur geschrieben, weil der Blog wegen des Sommerlochs neue Leser braucht. So etwas würde ich doch sonst nie in den Mund nehmen!