Die verlorene Unschuld
Der Fahrer neben ihr rast auf den Tod zu. Doch nicht ihr bisheriges Leben, sondern, ein zukünftiges, ein mögliches zieht an ihr vorbei. Und nun? Soll sie ins Lenkrad greifen?
Seinen achten Film und preisgekrönten Berlinale-Beitrag hat der Regisseur Christian Petzold nach Yella Rottländer, der Hauptdarstellerin aus Wim Wenders Road-Movie „Alice in den Städten“ benannt. Beide Werke kreisen um dieselben Sujets: Selbstentfremdung, (berufliches) Scheitern, Flucht in eine unverbindliche Mobilität, Heimatlosigkeit. Während die kleine Alice in Wenders’ Film mit ihrer kindlichen Unschuld einen Erwachsenen wieder zu sich selbst zurückführt, verliert die erwachsene Yella in der Welt des Kapitals jedoch den Bezug zum Ich. Nachdem die Firma ihres Mannes Konkurs ging und daraufhin die Ehe zerbrach, will Yella weg aus Wittenberge, um auf der anderen Seite der Elbe im Westen ihr Glück zu versuchen. Zunächst scheint ein Neuanfang möglich: Sie erkämpft sich Annerkennung als Assistentin für eine Private-Equity-Gesellschaft und auch die Liebe hält in ihrem Leben wieder Einzug. Aber die aalglatte Oberfläche der glänzenden Bürotürme weist von Anfang an Risse auf. Philipp, ihr Chef und Geliebter, arbeitet gezielt auf einen Betrug hin, zu dessen Komplizin sie sich macht. Und dann wird sie bei ihren knallharten Verhandlungen immer wieder von diesen merkwürdigen Geräuschen heimgesucht. Mal ein Rauschen in den Wipfeln, mal das Kreischen eines Vogels: Mahnende Rufe aus der weggeworfenen Vergangenheit, die Yella fort von den Meetings in einen symbolgeladenen Märchenwald locken. Hinter diesen Grenzlinien zwischen Traum und Wirklichkeit gewinnt der Film eine erstaunliche Tiefe. Zudem spielt Nina Hoss die Hauptfigur mit ruhiger und bestechender Intensität. Am Ende sitzt Yella wieder im rasenden Auto und trifft eine bemerkenswerte Entscheidung.
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