Sonntag, Oktober 28, 2007

Johann Johannsson: Englabörn

Es gibt nicht viele Alben, die in gerade mal 5 Jahren bereits zum Klassiker gedeihen. Englabörn, dem 2002 erschienenen Debüt des isländischen Tonkünstlers Johann Johansson, ist dies ohne großen Promotionsrummel gelungen. Die Nachfrage nach diesem sehr schnell vergriffenen und ursprünglich als Vertonung eines gleichnamigen Films gedachten Werk war so beachtlich, dass es nun eine Neuauflage erfährt. Zu Recht, denn die schlafwandlerische Sicherheit, mit welcher Englabörn eine Richtwerte setzende Symbiose von Mensch und Maschine erschaffen hat, kann gar nicht genug gewürdigt werden. Hier kommt zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört: Computer-Voices und orchestrale Akustik formulieren eine Neu-Definition des Humanoiden. R2-D2 gesellt sich zu einem Streichquartett, vor dessen natürlichem Klangkörper er aus blecherner Brust ein lateinisches Gedicht anstimmt. Es sind starke Kontraste, mit denen die Musik ihre Zuhörerschaft in einen unausweichlichen Bann zieht. Derart sprachlose Gesichter dürfte man zuletzt bei Konzerten von Johannssons Landsmännern Sigur Rós aufgesetzt haben. Noch gehen uns diese Melodien viel zu nahe, doch in 15 Jahren wird man zurückschauen und in einem Stück wie „Odi et Amo“ das Wegweisende erkennen. Der Autor dieser Zeilen bittet übrigens mit Nachdruck, man möge ihn zu gegebener Zeit an seine Worte erinnern.

Freitag, Oktober 19, 2007

Die Universal Tellerwender...in der Speisekammer

"Wir alle spielen Theater“. Das wusste bekanntlich schon Erving Goffman. „Und wir spielen alle guten Lieder“, so die Antwort vom Frl. W. und meiner Wenigkeit. Soll heißen: Im Anschluss an die Uraufführung des Theaterstücks „Trotzdem“ (zu sehen in den Bochumer Kammerspielen) findet morgen in der Speisekammer eine Premieren-Party statt, zu der wir den musikalischen Überbau liefern. „Wir drehen wirklich Teller, wir tun nicht so“ (frei nach den Sternen). Irgendwie muss man sich ja sein Abendessen verdienen. Sehr attraktive Schauspielerinnen und Schauspieler sollen auch kommen. Wurde uns jedenfalls so gesagt. Und wenn nicht, dann könnt ihr ja kommen. Die Premieren-Party ist nämlich offen für alle und der Eintritt ist frei. Die Party, also, für alle Starlets und solche, die es werden wollen. Here we go:


Die Universal Tellerwender
Speisekammer Bochum (Kammerspiele / Schauspielhaus)
Königsallee 15
44789 Bochum
Samstag, 20. Oktober 2007
So ab 22 Uhr (das wissen wir selber nicht so genau)
Ihr wisst bescheid!

Donnerstag, Oktober 18, 2007

Travis – E-Werk Köln – 17. Oktober 2007

Travis waren mal wichtig. Mit „The Man Who“ hatten Sie 1999 eine Platte allein für mich und mein Leben gemacht. So schien es mir zu jener Zeit zumindest, denn jedes Wort und jeder Ton in Liedern wie „Writing To Reach You“ oder „Driftwood“ traf einen Nerv in meiner damals unruhig vor sich her stolpernden Gemütslage. „The Invisible Band“ fand ich 2001 noch ganz hübsch, mit „12 Memories“ konnte ich jedoch gar nichts mehr anfangen und vom aktuellen Album wusste ich bis vor kurzem nicht einmal, dass es überhaupt erschienen war. Travis waren im Laufe der Zeit irgendwie egal geworden, viel zu sehr „Tied To The 90’s“ (ja, ich weiß, dass ich an der Rubrik mal weiterschreiben muss) und viel zu stark an Erlebnissen gebunden, mit denen ich längst abgeschlossen hatte, als dass sie noch aktuelle Relevanz für sich hätten beanspruchen können. Meine Erwartungen waren also nicht besonders hoch als mich ein Freund anrief und mir eine Karte fürs Travis-Konzert im E-Werk anbot, die er noch übrig hatte.

Ich wurde äußerst positiv überrascht. Nicht weil die neuen Songs mich überrollt hätten, sondern weil es einfach unmöglich ist, Travis schlecht zu finden: Selten so im allerbesten Sinne sympathische, spielfreudige und humorvolle Musiker gesehen. Gerade die Kategorie „Humor“ ist ja eine große Unbekannte bei den ansonsten bedeutungsschweren Gesten der The-Bands dieser Welt. Und ich würde freiwillig für den Rest meines Lebens Fran Healys spitze Kopfstimme in „Closer“ über mich ergehen lassen, wenn ich dafür nie wieder die Schwiegermutter-Beschwörungen von James Blunt hören müsste (an dieser Stelle gebe ich gerne zu, dass meine James-Blunt-Abneigung immer absurdere Züge annimmt). Außerdem hatten Travis einen lustigen schwedischen Gast-Pianisten namens Claus dabei, der von den noch lustigeren Fans frenetisch abgefeiert wurde. Scheint so ne Art Running-Gag auf Travis-Konzerten zu sein. Das Stadion-Geklatsche zwischendurch braucht natürlich kein Mensch und Travis sind jetzt auch nicht urplötzlich wieder Gott weiß wie wichtig geworden. Aber sie sind nicht mehr egal. In „The Boy With No Name“ werde ich jedenfalls mal reinhören.

Dienstag, Oktober 09, 2007

The World Is Everything: David Sylvian - Köln - 8. Oktober 2007

November 1993 – Il duomo di Firenze. Oktober 2007 – Der Kölner Dom. Fast 14 Jahre zwischen zwei Konzerten, zwischen zwei sich aus dem Phlegma des Daseins erhebenden Monolithen. Zwei mal einfach losgefahren, ohne zu wissen, ob die Richtung stimmt. Beide Male sicher angekommen. Das Andenken daran für die Memoiren eines Herzblutenden aufbewahrt. Im Theater am Tanzbrunnen gediegenes Sitzen in zweiter Reihe. „What A Wonderful World“ zum pünktlichen Auftakt. Von der Bühne kommt kaum eine Begrüßung. Statt dessen Distanz elegant. Das Außen kehrt sich nach Innen. Was zählt sind kleine Gesten und sparsame Mimik, die erst nach und nach immer großzügigere Lächeln austeilt. Keine Faust, die sich reckt, keine Hand, die beschwört; dennoch wird jeder hier im Saal im Innersten berührt. Sylvians Stimme dringt an Orte vor, die selten zuvor ein Mensch gezeigt bekam. Unbeirrbar rüttelt sie am Ich, tritt Erschütterungen los und strömt als gleißendes Glück zurück an die brüchig gewordene Oberfläche. Es gibt noch Hoffnung, so lange ein einziges Musikstück ein halbes Leben in Frage stellen kann. There's a fire in the forest / It's taking down some trees / When things are overwhelming / I let them be / […] There is always sunshine / Far above the grey sky / I know that I will find it / Yes, I will try. Die Musiker, darunter Steve Jansen, spielen in punktgenauer Erhabenheit und unantastbarer Traurigkeit: Brilliant Trees, Ghosts, Every Colour You Are – die alten Bekannten von einst ins neue Licht gerückt, nur anhand der Worte wieder erkannt, während die neueren Nine-Horses-Stücke längst zu vertrauten Weggefährten geworden sind. Noch zwei stille Zugaben und ein ruhiges Lächeln. Wanderlust zum Schluss: And deliverance has many faces / But grace is an acquaintance of mine. Das ist die Freiheit, die! Ich! Meine!