Donnerstag, Juli 13, 2006

Japan - Tin Drum

Lieber V.,

Du hast ja recht: Ich bin feige! Als Du mich bis zu unserem nächsten Treffen um einen Musiktipp gebeten hattest, wolltest Du den bestimmt nicht schon vorher in schriftlicher Form. Sicher, ich habe mich enorm geschmeichelt gefühlt, als Du mich gefragt hast, ob ich nicht eine Empfehlung in punkto „guter angesagter Musik“ hätte. Aber hier fängt das Problem ja schon an: Bei der Platte, die ich Dir ans Herz legen will, kann von „angesagt“ nicht wirklich die Rede sein, denn sie ist immerhin schon 23 Jahre alt. Obendrein noch von einer Band, die anno 1990 ihr letztes Album veröffentlicht hat und dies seinerzeit, um ja keine „Reunion“-Hoffnungen aufkommen zu lassen, unter anderem Namen tat. Alles nicht so wirklich trendsetzend. Aber mal ehrlich, V., Musik, von der es hieße, sie sei „trendy“, willst Du doch gar nicht kennen.

V., als ich ein bestimmtes Lied der Platte zum ersten Mal bewusst hörte – also, ich habe dieses Lied bereits vorher gehört, aber in jenem Moment eben erstmalig bewusst -, da schrieb ich gerade einen Brief an Dich. Und so, wie die Musik damals endlich zu mir kam, so soll sie auch zu Dir kommen, wieder mit einem Brief. Nun weißt Du, warum ich nicht bis zu unserem nächsten Treffen warten wollte. Das Lied hieß „Still Life In Mobile Homes“ und ist von Japan.

Du merkst hier schon, V., meine Geschichte vom Weg zu dieser Platte ist eine Geschichte voller Umwege: Meine erste Begegnung mit „Still Life In Mobile Homes“ fand dann sinnigerweise auch nicht auf „Tin Drum“ statt (ha! nun weißt Du’s, „Tin Drum“ von Japan heißt mein Tipp!), sondern auf dem vermeintlichen „Live“-Mitschnitt von „Oil On Canvas“. „Oil On Canvas“ war eigentlich kein „echtes“ Live-Album, aber das ist eine andere Geschichte. Was zählt ist, dass mich „Still Life...“ und all die anderen Tin Drum-Lieder, die auf „Oil...“ drauf sind (insgesamt 7 von 8, lediglich „Talking Drum“ fehlt) stark nach dem „Original“ verlangen ließen.

V., lass Dich bitte nicht vom Cover abschrecken. Ich höre förmlich Dein brummiges „wie oberflächlich plakativ ist das denn?“ Da sitzt ein blasser Brite mit 80er-Glamour-Frisur und Loser-Brille in einem dezent mit Asia-Versatzstücken dekorierten Raum und hält vor Mao-Portät (Japan?) und Reisbauern-Hut demonstrativ Stäbchen und Reisschälchen hoch. Als sozusagen bildliches Negativ verweisen Glamour und Glasses aber auf genau das, was Japan musikalisch immer ausgezeichnet hat: Die enge Verzahnung von Style und Intellekt.

Und schon im Opener „The Art Of Parties“ ballt sich beides zur mächtigen Faust: Da setzt das Synthie-Gebläse gezielte Auf-und-ab-Schläge gegen den Rhythmus, während ein weinerlich anmutender Singsang die gebrochene Schönheit der Jugend beschwört. „Ghosts“, der vermutlich größte Single-Hit der Gruppe, stellt wiederum das in den Vordergrund, was mich an Japan von Beginn an am meisten fasziniert und berührt hat: die Stimme von David Sylvian. Diese Stimme, die fleht, umschmeichelt, aber zugleich auch eine ihr stets anhaftende Melancholie verbreitet:

Just when I think I'm winning
When I've broken every door
The ghosts of my life
Blow wilder then before

„Canton“ ist das wohl unfreiwillig berühmteste Stück auf „Tin Drum“: Oder kennst Du als fleißiger TV-Gucker auch nur eine Sendung übers Origami-Falten, die ohne diese für sämtliche Fernost- und East-meets-west-Klischees herangezogene Melodie ausgekommen wäre? Noch einmal zu „Still Life In Mobile Homes“ und der Ambivalenz von Mobilität und Stillstand, wie sie im Titel benannt und in der Musik realisiert wird, indem mehrere Schichten aus holprig-sperrigen Rhythmen, unterkühlten Keys und nervösen Basslinien zu einer klirrenden Dynamik finden. Die „Original-Version“ auf „Tin Drum“ wirkt dadurch kompakter, prägnanter. Auf „Oil On Canvas“ nimmt sich das Lied selbst ein wenig zurück, verhaltener im Arran-gement, zaghafter im Gesang. Vorsicht und Zurückhaltung prägten damals auch jenen frühen Brief an Dich. Vielleicht konnte ich das „Still Life...“ von „Oil...“ in jenem Moment gerade deswegen so gut greifen. Und vielleicht entsprechen die Direktheit und Prägnanz von „Still Life...“ auf „Tin Drum“ bzw. die Umwege bis dorthin ja den Wegen, die unsere Freundschaft genommen hat und dem, was sie aktuell ausmacht. Ich weiß, Du magst kurze griffige Schlussformeln, darum möchte ich meine Empfehlung zu „Tin Drum“ mit dem Zweifel losesten Kompliment abschließen, das mir zu uns beiden in den Sinn kommt: Diese Platte ist wie eine gut gereifte, wegbereitende Freundschaft!

In diesem Sinne:

Dein Don

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