Prince - The Rainbow Children (2001)
Seit 1987 liegt auf den Besprechungen von Prince-Platten ein Fluch, der sich nur schwer bannen lässt. Das in jenem Jahr erschienene Doppelalbum „Sign o’ The Times“ gilt nämlich im Konsens von Hörerschaft und Plattenkritik als kreativer Höhepunkt im musikalischen Schaffen des Prinzen von Minnesota. Und wie es das vermeintliche Erreichen und Überschreiten eines künstlerischen Zenits so mit sich bringt, ist damit eben auch, natürlich, „die geniale Zeit vorbei“. „Lovesexy“, der aberwitzige Nachfolger zu „Sign“, war zwar auch noch, aber irgendwie schon nicht mehr ganz so gut. So kam es, wie es kommen musste: Alle Jahre wieder konnte man es hören, das epigonenhafte Nachplappern, den einstimmigen Chor der Ungerechten. Jedes neue Werk des Winzlings wurde an dem Geniestreich von einst gemessen und je mehr Jahre verstrichen, desto eher wurde die Unkenntnis der Kritik angesichts des stetig wachsenden Post-87er Paisley-Park-Outputs offensichtlich. Verlassen konnte man sich dabei auf eine bemüht wirkende Vorverurteilung: Auf eine sicherlich nicht immer unbegründete, aber oft eben auch zu aufgesetzt und abgeschrieben wirkende Bescheidwisserei, die glaubte, dem neuesten Prince-Werk mal wieder die Originalität absprechen zu müssen, nachdem sie für die argumentative Untermauerung der übernommenen Blaupause die zwei drei in der heimischen Stadtbibliothek vorhandenen Standards (als Verweis auf die musikalische Grundbildung: "Purple Rain", als Nachweis für die unwiederholbare Genialität: eben „Sign o’ The Times“) zum Vergleich zitiert hatte.
Und erneut greift es sich leicht zum bequemen Raster, ein Beispiel aus den wenigen Rezensionen zu „The Rainbow Children“: Da spricht der Kritiker davon, wie er das Album zweimal gehört habe, es bliebe jedoch nur ein „fader Beigeschmack“, wenn man es denn womit?, natürlich!, mit „Sign o’ The Times“ vergleicht. Aber muss er, darf er denn überhaupt sein, dieser ewige Vergleich um jeden Preis?
Zunächst einmal: Nur zweimal „Rainbow Children“ hören gilt nicht und reicht nicht. Niemand wird ernsthaft behaupten wollen, die Größe von "Sign" ebenfalls bereits nach dem zweiten Hören erfasst zu haben. Außerdem lässt sich nicht miteinander vergleichen, was völlig verschiedene Ausgangspunkte und Konzepte hat. War „Sign“ destilliertes Konzentrat aus dem stilistisch vielfältigen Anbau zweier Vorgängerprojekte (zunächst unter den Titeln „Dream Factory“ und „Crystal Ball“ als Drei- bzw. Vierfachalbum geplant), so steckt „The Rainbow Children“ musikalisch engere Grenzen um Jazz und Funk ab, hat dafür aber ein viel breiteres religiös-episches Erzählprogramm.
Ach ja, das unangenehme Thema „Zeugen Jehovas“: Hier kann man sich nun trotzig in die Ecke stellen und mit dem Zeigestock die alte Gretchenfrage entstauben. Dagegen steht die Frage, was (und wem!) es denn überhaupt (etwas) nützt, den Hörern mit Blick auf die religiösen Implikationen der „Rainbow Children“-Texte ein engstirniges „dafür“ oder „dagegen“ aufzudrängen.
Jenseits aller Vergleiche wächst „The Rainbow Children“ zu einem einzigartigen, wohldurchdachten und reifen Konzept heran, das sich einfachen Zugriffen zunächst verweigert. Es bietet jedenfalls kaum catchige Melodien, an denen man sich sofort orientieren kann. Und dennoch finden sich hier einige der eindringlichsten Stücke, die Prince jemals geschrieben hat: Man nehme nur das komplexe und zugleich filigrane Titellied; oder das weiche, streichelnde "Mellow"; man tanze Walzer mit der Liebsten zu "She Loves Me 4 Me" oder wackele mit dem Gesäß bei "The Everlasting Now". Meinetwegen darf man bei "Family Name" ruhig weiterskippen, aber das mache ich auch bei "Slow Love" von "Sign". „The Rainbow Children“ – das ist einer der ganz großen Würfe unserer Tage, der auf Vergleiche verzichten und die Reputation eines Künstlers wiederherstellen kann, der sich bis auf Weiteres von den realen Bezugsgrößen des Business, wie Plattendeals, Promotion oder Verkaufszahlen, verabschiedet hat. Wer sich auf dieses Prince-Album nun vorbehaltlos und vor allem ohne Vergleichszwang einlassen will, sollte genug Neugier mitbringen, denn es bedarf schon einiger Hörproben bis sich der Paisley-Kosmos in seinem ganzen Aufbau erschließt. Der Musiker selbst bringt es in seiner James-Brown-Reminiszenz „The Work, pt. 1“ auf den Punkt: „I’m willing to do the work – what about you?“
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