Prince - 13. Oktober 2002
Ca. 17.30 Uhr vor der Frankfurter Festhalle. Man steht, noch weit vom eigentlichen Halleneingang entfernt, vor verschlossenen Toren. Als ich zu dem kleinen, vor den Gittern versammelten Grüppchen dazu stoße, wundere ich mich darüber, dass noch so wenig los ist. Wird das etwa eine Privatparty? Vom Würstchenstand, einige Meter entfernt, quäkt ein Live-Mitschnitt von der 90er Nude-Tour aus einem kleinen Kassettenrecorder. Um mich herum ein babylonisches Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch, Niederländisch, Italienisch und ein zwei nicht weiter identifizierbaren Idiomen (irgendwas Arabisches?). Im weiteren Verlauf schnappe ich Gesprächsfetzen auf a la „Ja, damals bei der Diamonds & Pearls-Tour bla bla“ oder „Letzte Woche in London bla bla“. War ja klar, dass die Gelegenheits-Konzerbesucher heute in der Unterzahl sein würden. Sei’s drum, gegen 18.30 – die Menschentraube um das Gitter ist größer geworden – kommt das Sicherheitspersonal und lässt sich für das Öffnen der Tore beklatschen. Im selben Moment bricht die Menge tumultartig auf den Hallenvorplatz und rennt so schnell sie kann in Richtung Haupteingang, um sich auch ja die besten Plätze im Innenraum zu sichern. Ich denke mir, ich bin zu alt für so was, außerdem hab ich den Prinzen ja schon oft genug gesehen und erinnere mich obendrein noch zu gut an „mein letztes Konzert mit ihm“, das sehr enttäuschende 98er Konzert in der Köln-Arena. Ein eher lustloser Prinz schleppte sich seinerzeit durch ein gerade mal andertalbstündiges Pflicht-Set, in dem so ziemlich jeder Song auf eine Minute gekürzt und in einem unerträglich langweiligen Jam-Medley vermurkst wurde. Lass die mal rennen, denke ich mir so und sollte zunächst recht behalten. Denn vor dem Eingang sind weitere Absperrungen aufgebaut, nun werden die Eintretenden erst mal gefilzt.
Endlich im Gebäude angelangt, ist wieder Warten angesagt, wieder wird gerannt, geschubst, geschoben und dann endlich das Ticket abgerissen. So, nun ist aber auch gut, ich trete in den doch sehr großen Innenraum und muss heimlich lachen, weil sich vorne an der Bühne gerade mal 7 oder 8 lose stehende Menschen-Reihen gebildet haben. Wie gut, dass ich meine Kräfte nicht beim Rennen verschwendet, sondern für später aufgespart habe. Ich sollte sie noch brauchen.
Also gilt es erst einmal, die Toilette aufzusuchen, sich aller überflüssigen Oberteile zu entledigen, selbige um den Bauch zu binden und schließlich ganz hinten in der Halle mit einem Getränk in der Hand auf einem der Stühle, welche auf einem schrägen Podest aufgestellt sind, Platz zu nehmen. Der Innenraum ist noch so leer, ich kann mir kaum vorstellen, dass sich die Halle bis 20.00 Uhr noch füllen wird.
So gegen halb acht bewege ich mich in Richtung vorderes Hallendrittel (das man zu jenem Zeitpunkt immer noch ohne sich durchzwängen zu müssen locker erreichen kann) und „sichere“ mir einen Platz so ca. in Reihe 11 (den Mitgleider-Bereich mitgezählt!), indem ich mich auf den Boden niederlasse. Inzwischen legt ein DJ neuere Prince-Songs auf (Come On, The Daisy Chain, usw.) unterbrochen von James Brown- und George Clinton-Klassikern. Kurz vor acht stehe ich dann doch auf, auch weil sich der Bereich um mich herum merklich gefüllt hat und ich nicht will, dass jemand über mich herfällt. Bereits kurze zeit später geht das Licht aus, die Menge jubelt, auf der Bühne kann man sich bewegende Silhouetten erahnen, die ihnen vorbestimmte Plätze einnehmen. Die sich so formierte Band fängt an zu jammen, es erklingen – sehr unprätentiös, weil ohne Licht und ohne Pyrotechnik eingeleitet – die ersten Töne von „The Rainbow Children“. Der Opener des gleichnamigen Albums eröffnet auch dieses Konzert. Eine weitere Silhouette gesellt sich im Dunkeln dazu, jeder weiß, wer das ist, man sieht es ja schon an der Größe, alles quiekt und schreit und nun geht endlich das Licht an und da steht er der Zeremonienmeister des heutigen Abends, alles, aber auch wirklich ALLES – schlechte Platten, mein schlechtes letztes Konzert, unverschämte Ticket-Preise – ist in diesem Moment vergessen. Seine durch das Mikro
in die Tiefe verzerrte Stimme orakelt etwas Mystisches, die Halle starrt gebannt auf das Geschehen, kann jetzt erst die Personen auf der Bühne ausmachen: von links: Renato Neto an den Keyboards, Rhonda Smith, Bass, John „das Tier“ Blackwell an dem hinter einer Glaswand postierten Schlagzeug, Candy Dulfer, Saxofon, Maceo „Gott“ Paker, Saxofon, Greg Boyer, Trompete. Und dazwischen natürlich Prince, der an dem Abend noch so ziemlich alles spielen sollte. „Did You Miss Me?“ fragt er das Publikum und lächelt verschmitzt. Wartet aber kaum auf eine Antwort, sondern kündigt sogleich „Real music by real musicians“ an. Überhaupt zeigt er sich ungewohnt redefreudig, ständig sucht er das Gespräch mit dem Publikum, stellt Fragen, hält Predigten und selbst die nimmt man ihm nicht übel. Denn an diesem Abend sehen wir einen so unglaublich guten, spielfreudigen, charmanten, humorvollen, witzigen, gut gelaunten und ausgelassenen Prince, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen zu haben glaube. Wir sind es wohl, die Regenbogenkinder, die der kleine Mann da vorne auf Teufel komm raus beglücken mag. Gleich nach diesem Song folgt ein Klassiker, aber einer, mit dem wohl niemand, ich am allerwenigsten, gerechnet hat: Pop Life. Hab ich dieses Lied überhaupt schon mal live-haftig (also nicht als bootleg-konserve) miterlebt? Jedenfalls hab ich erst in diesem Moment geschnallt: Hey, ich bin ja auf einem Prince-Konzert. Und Pop-Life war kein alter Song. Pop Life klang frisch und kraftvoll wie nie zuvor. Pop Life wurde in einen Mantel von Funk und Jazz gepackt, wie er den aktuellen Prince Sound bestimmt – meine Glieder machten sich selbständig, zu dieser Musik kann ich nicht anders als Tanzen, Tanzen, TANZEN. Es folgt „Xenophobia“, der Meister klärt uns darüber auf, dass das Jahr 84 ja schon vorbei sei, wir sollten
uns keinen nostalgischen „Purple Rain“-Abend erwarten, hoffentlich aber hätten wir viel Zeit mitgebracht, denn er hat noch einiges mit uns vor. Das Konzert sollte insgesamt 2einhalb Stunden dauern…
Andere Musiker haben eine Begleitband. Prince lässt eine Phalanx von Halbgöttern antanzen. Beim ersten Solo von Maceo Parker fragt er schelmisch: Do You know that man? Maceo spielt, als wäre er von einem andern Planeten zugeschaltet. Und man mag über Candy Dulfer wegen „Lilly was here“ herziehen wie man will. An diesem Abend war sie Maceo mindestens ebenbürtig! Über die anderen, mir bis dato nur auf dem Papier bekannten Musiker kann man gleichfalls nur ins Schwärmen geraten.
John „das Tier“ Blackwell, der Trommler, bekam sein Solo und meine Güte, ich dachte, der Mann hebt gleich ab vor Energie. Er prügelte auf sein Instrument ein als wäre es sein Erzfeind, schmiss einen Stick durch die Halle und kämmte sich mit der freigewordenen Hand vor einem vorgehaltenen Spiegel die nicht vorhandenen Haare. Natürlich ist das Show, natürlich ist das Gepose, aber what the hell, genau deswegen geh ich doch auf solche Konzerte! Rhonda am Bass sieht so gut aus, dass sie in anderen Bands gar nicht spielen können bräuchte, hingegen war ihre Performance tadellos. Gelegentlich sang sie auch mal die Backing-Vocals (z.B. auf Take me with you). Renato Neto bekommt erst ganz zum Schluss, beim letzten Lied
Anna Stesia, die Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen. Ich dachte, ich wäre auf einem Konzert von Brian Eno.
Und Prince selbst?! Er kann einfach alles Spielen! Bass, Gitarre, finger-virtuose Piano-Medleys, dazu gibt er mal eben – bei Adore, Condition Of The Heart oder Starfish and Coffee – Lehrstunden in Sachen Gesang, ganz zu schweigen von "Peach", ein auf Platte eher unscheinbarer Song, der live in einer "heavy-Version" dargeboten wurde, die jede in diesem Forum genannte Gitarrenband an die Wand gespielt hat!
Natürlich kredenzt er auch viele alte Hits – bei so einer großen Halle war damit wohl zu rechnen. Und gegenüber seiner eigenen Aussage zu Beginn meint er dann auch zu Lied 5 (oder 6): „Ich hatte gesagt, ich würde es nicht spielen, aber ich war so lange nicht mehr in Deutschland, außerdem hab ich jetzt Lust darauf“. Und na klar, alle sangen sich lauthals ihr „Purple Rain“ von der Seele, und das für mehr als
10 Minuten! Danach gibt’s wieder Knüppelfunk erster Sahne, „five boys and five girls“ werden auf die Bühne geholt und zum Dance-Contest geladen. Der von vielen als „Superstar“ bezeichnete Musiker hat keine Berührungsängste, scherzt mit seinen Fans,
hilft ihnen auf die Bühne und witzelt mit einer jungen Dame, der er ein scheinbar nur für sie gedachtes Gitarren-Ständchen darbietet. Ich will nicht ausschließen, dass mir im Verlaufe des Abends mal ne Träne aus den Augen gekullert ist, weil es doch so schön war, nach all den Jahren einen Prince zu sehen, der weiß was er kann und der ein bisschen mehr zu sich selbst gefunden zu haben scheint. „Prince is Music“, hieß es neulich mal in einem Thread auf prince.org. Diesen Satz will ich gerne und
aus ganzer Seele unterschreiben.
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