Donnerstag, Juli 20, 2006

The Durutti Column – Sketch For Summer

Ich höre selten Radio. Es gibt einfach kaum eine Sendung, die mich interessiert. Und wenn ich es doch mal einschalte, dann meist im Auto, auf der Autobahn. Beim Fahren zwei Filme vor meinem geistigen Auge: In dem einen sieht man meine Einzelteile (und die meines Autos) entlang der Leitplanke verteilt, mitten auf der Fahrbahn eine immer schneller um sich selbst eiernde Radkappe und dazu spielt irgendeine Eins-Live-Combo, dessen schrottiges Plärren am seidenen Faden des letzten funktionierenden Kabels hängt. Der andere Film zeigt Fernfahrerromantik: Wie ich auf kaum befahrener Autobahn das Lenkrad gen Sonnenuntergang halte. Der passende Soundtrack zu beiden Filmen wäre Sketch For Summer von The Durutti Column.

The Durutti Column – das ist das Ein-Mann-Band-Projekt von Vini Reilly. 1980 erschein bei Factory Records das erste Album
The Return of the Durutti Column. Darauf sind neun Instrumentalstücke zu hören, es beginnt mit Sketch For Summer. Zum ersten Mal habe ich das Lied bei Up From The Underground gehört (mit 9 stand ich halt eher auf Baccara als auf so was), während einer dieser besagten Autobahnfahrten. Das Stück ist recht simpel gehalten, eigentlich besteht es nur aus 2 Melodiebögen, die sich in mehreren Schleifen umeinander krümmen und in Wiederholungen variiert werden. Es beginnt mit einem im Telespiel-Sound generierten Vogelgezwitscher, bald darauf puckert ein düsterer und altersschwacher Drum-Computer los bis sich endlich, in mehreren Schichten, dieses unglaublich herzzerreißende Gitarrenspiel über alles schiebt. Zwei Aspekte machen Sketch For Summer – mal abgesehen von der keiner Worte bedürfenden Schönheit der Musik – für mich so einzigartig: Zum einen ist der Titel perfekt. Sketch For Summer trifft in drei Worten genau die Stimmung der Musik: Ein sich in vorübergehender Melancholie verzehrender (aber jedes Jahr aufs Neue wiederkehrender!) Sommer. Flüchtiges und ewig Wiederkehrendes. Zum anderen ist das Lied auch deswegen perfekt, weil es nicht lang genug ist (Maneater, z.B., von Nelly Furtado ist ein guter Popsong, aber wie Millionen anderer guter Popsongs ist er lang genug, und man mag es irgendwann mal nicht mehr hören). Wohlgemerkt, Sketch For Summer ist nicht zu kurz. Im Rahmen seines selbst gewählten musikalischen Themas steckt das Stück alle möglichen Grenzen ab und holt aus sich das heraus, was herauszuholen ist. Und doch ist es nicht lang genug. Es ist nämlich auch nach dem 3465. Hören immer noch schade, wenn das Lied vorbei ist, es hinterlässt beim Hörer das immer wieder aufs Neue schmerzhafte Verlangen nach mehr. Vini Reilly schafft in drei Minuten das, wofür Miles Davis eine ganze Platte gebraucht hat. Hätte Miles Davis Gitarre gespielt, würde es wohl so geklungen haben wie Sketch For Summer. Und weil ich so auf Romantik stehe und weil ich von diesen Liedern, die nicht lang genug sind, nicht genug kriegen kann, werde ich auch in Zukunft das Lenkrad weg von der Leitplanke in Richtung Sonnenuntergang steuern, wenn ich mich mal wieder über das verfluchte Radioprogramm ärgere.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bin zufällig auf das Album "circuses and bread" von The Durutti Column gestossen. Kannte die Band bisher überhaupt nicht. Ein echter Genuss im Vergleich zum Radio-Gedudel. Und das Album "The return of the Durutti Column" soll ja laut allmusic.com noch besser sein. Werde da mal reinhören.
Google hat mich dann zu diesem blog geführt. Toll geschriebene CD-Kritik! Werd da mal bischen stöbern, ob noch was für mich dabei ist.

Steven Bascom hat gesagt…

danke fürs kompliment. ja, eine sehr schöne platte, unbedingt mal reinhören. und viel spaß auf der guten seite.