Sonntag, Dezember 31, 2006

It's all true

Es gibt Stimmen, die das Hören von Musik immer wieder zum Ereignis machen und ohne die ich mir meine Sammlung nicht mehr vorstellen mag. Eine davon gehört Tracey Thorn. Bald wird ihr zweites Soloalbum erscheinen, vorab gibt es auf ihrer Myspace-Seite die erste Single "It's all true". Ja, es ist wahr: Tracey kann machen was sie will, ich bin jedes Mal aufs Neue hingerissen. Auch wenn das 80er-Synthie-Ding schon längst wieder durch ist. Aber das hat Jay-Jay Johanson ja auch nicht gestört. Blöd nur, dass das Abspielen des Martin Buttrich-Mixes (im Moment) nicht funktioniert. Scheiß Myspace.

Mittwoch, Dezember 27, 2006

James Brown (und noch zwei andere)

R.I.P. James Brown

Sonntag, Dezember 24, 2006

Das zweiundzwanzigste Jahr

Mal ehrlich: Was wären die letzten 21 Weihnachtsfeste ohne "Last Christmas" gewesen? Irgendwie gehört George Michaels ewiger Tantiemengarant zum Fest dazu, und sei es nur, damit man sich alle Jahre aufs Neue darüber aufregen kann. Im 22. Jahr kommt nun eine Version hinzu, mit der man vielleicht nicht die Geschichte, aber doch die eigenen Sätze umschreiben muss: Was wäre "Last Christmas" ohne die in dramatischer Hoffnungslosigkeit versinkende Umdeutung von Mon)tag? Hört selbst.

Freitag, Dezember 22, 2006

Shortbus

Ein Film, den freimütig fickenden Geschlechtsteilen gewidmet. Mit einem schwulen Pärchen plus Liebhaber, die sich gegenseitig die Schwänze oder die Nationalhymne in ihre Hintern blasen. Ein Film über New York als aufgedonnerte Pappkulisse, vor deren Hintergrund allein alles möglich und alles halb so schlimm erscheint. Der Zuschauer als Voyeur, als Sexclubbesucher, zwischen „all those beautiful boys, pimps and queens and criminal queers“, einer Sextherapeutin mit Orgasmusproblemen und einer Domina in Identitätskrise. Ein Film, der erzählt von Begierde, Sehnsucht, Traum, Furcht und Hoffnung; und der berichtet über das, was man von der Liebe denkt, wie man sie sich als Zehnjähriger vorgestellt und vielleicht bis heute nicht gefunden hat. Ein Film, so selbstverständlich, so leicht, so stark, so aufrichtig, so „normal“ wie man es nur sein kann. Und schließlich ein Film wohl nur für Wenige, den aber alle sehen sollten. Der beste Weihnachtsfilm des Jahres.

Montag, Dezember 18, 2006

3 – That’s The Magic Number

Vor den zum Jahresende auf uns zurollenden Poll- und Listenlawinen möchte ich noch schnell meine drei Lieder des Jahres in Sicherheit bringen. Zwei der drei Künstler(gruppen) waren mir bis vor wenigen Monaten übrigens gänzlich unbekannt, aber man muss ja auch nicht immer so tun, als ob man Ahnung hätte. Warum ausgerechnet drei Lieder und nicht eines oder dreihundertsechsundfünfzig? Weil es drei klasse Songs sind, schon klar, aber auch, weil sie repräsentativ für die Richtungen stehen, aus denen ich 2006 am hungrigsten Musik gejagt und aufgesaugt habe und die ich mal mit „Saiten“, „Daten“ und „Kloppen“ markieren möchte.

In der „Kloppen“-Kategorie hat Prince mit „Black Sweat“ die Nase vorn. Mag sein, dass die wirklich großen Momente von Prince in den letzten Jahren seltener geworden sind. Hier blitzt jedenfalls mal wieder sein irres Gespür für die Bloßlegung des Wesentlichen auf. „Black Sweat“ ist ein bisschen die Essenz von „Kiss“ ins neue Jahrtausend hinübergerettet, freilich ohne catchy-Refrain, den es für einen Welthit gebraucht hätte: lüstern, knallhart, staubtrocken. Mit wenigen Handgriffen wird hier ein Groove gezimmert, der allen Epigonen neidvolle Blässe ins Gesicht treibt, mögen sie Pharrell oder Kanye oder sonstwie heißen.

Hot Chip sind in den Listen des Jahres Everybody’s Darling. Meiner auch, es hat ja auch kaum eine andere Platte für so belebenden Zugewinn im „Daten-Pop“ gesorgt wie „The Warning“. Konnte ich mich „Black Sweat“ bereits aus einer gewissen Distanz heraus nähern, so wird mir das mit Hot Chip kaum gelingen. Zu unmittelbar ist noch die Begeisterung für das Titelstück „The Warning“, einem Bandohrwurm von Melodie, der sich nun schon seit Monaten durch meine Gehirnwindungen frisst. Eines der wenigen Lieder, bei denen ich mir ganz sicher bin, dass ich sie auch noch in 15 Jahren mit ungebrochenem Glücksgefühl werde hören können. „Excuse me miss / I'm a dog on heat / I'm a complicated being / With love songs to eat / I'm a poor, starving baby / who can march all night / I'm a mechanical music man / And I'm Starting a fire.“ Leider besitze ich „The Warning“ ja nur als, äh, private Kopie, hallo Weihnachtsmann, magst Du mir mal die Vinyl-Platte unter den Baum legen?

Midlake währen ohne den „Cooporative Music Volume 3“-Sampler vermutlich an mir vorbeigegangen. Bereits „Head Home“, der CD-Track, lies mich aufhorchen, endgültig geknallt hat es dann beim Video zu „Young Bride“ auf der DVD. Zu Beginn fadet das Lied langsam hoch, ein Trick, der weder neu noch innovativ, aber immer noch wirkungsvoll ist: Ein wehmütiges Violinen-Intro, das seine Stimmung an ein beharrliches Schlagwerk übergibt, ein synkopischer Bass setzt ein und dann endlich die hymnische Erlösung wenn die Saiten loslegen. Lied und Video sind einfach zu schön, um ungewürdigt zu bleiben. Ich werde alle drei Lieder übrigens beim kommenden Auflegeabend dabei haben, wenngleich die Dine neulich meinte, dass ihr der penetrant hohe Pfeifton in „Black Sweat“ ziemlich auf die Nerven gehen würde.

Montag, Dezember 11, 2006

Nur Die Guten II – Be sinnlich mit der Dine und dem Don

„Sag mal Don, kannst Du Dir für Deine Ankündigungen nicht mal was anderes einfallen lassen? Diese Altherrenwortspiele gehen auf Dauer echt nicht!“ Die Dine war nicht gerade begeistert, schließlich ging es um Weihnachten und um jede Menge Emotionen. Der Don blieb cool: „Passt schon, Dine. Das Goldkantenpublikum kann auf jeden Fall Englisch. Du wirst Augen machen, wenn sie sich bei Harrisons „My Sweet Lord“ genau an der Hare-Krishna-Stelle in den Armen liegen, nur, um sich dann bei „Christmas Rappin’“ in den Schritt fassen zu können. Curtis Blows! Und wetten, dass sie uns Geschenke mitbringen, wenn wir die 5 Weihnachts-Platten von Sufjan Stevens durchlaufen lassen?“ – „Träum weiter“, ließ sich die Dine nicht beirren. „Ein Song davon tut’s auch! Und damit das mit dem „Be“-sinnlichen Abend auch klappt, pack ich mal sicherheitshalber Mogwai und MS. John Soda ein. Zum Schluss lass ich dann den Ballon der Montgolfier Brothers steigen. Was sagst Du nun?“ – „Den Ballon der Montgolfier Brothers, hahaha, ich lach’ mich kaputt, Dine, erzähl Du mir noch mal was von Wortspielen, aber klar, damit kriegen wir sie alle!“

Weitere DJ-Dialoge gibt es dann am 25. Dezember in der Goldkante.

Freitag, Dezember 08, 2006

Pam Todd And Love Exchange – Let’s Get Together

Wenn ein Song exemplarisch all das vorführt, was mich an Disco so begeistert, dann ist es „Let’s Get Together“ von Pam Todd And Love Exchange. Von den vielen Tracks, die (der heute zu unrecht in Vergessenheit geratene) Greg Carmichael in jener Ära produziert hat (z.B. für Carol Douglas oder die Universal Robot Band), ist dieser nach meinem Dafürhalten der am cleversten arrangierte: Ein verlockender Beckenschaukel-Beat mit koketten Congas, dazu dezentes, aber wirkungsvolles Streicher-Dekor sowie Emotionen hochpeitschende Bläser-Brücken. Ohne Pam Todds euphorischen Canto wäre dieser Song nichts, und doch sind es vor allem die ausgedehnten Instrumental-Parts, welche die Salonlöwen dieser Welt sich nach niemals enden wollenden Disco-Nächten verzehren lassen. Aus genau diesem geschickten Zuspiel von Gesang- und Tanz-Passagen zieht „Let’s Get Together“ eine sich immer wieder aufs Neue aufreizende Spannung. Falls jemand das Album gleichen Titels sieht und auch nur den kleinsten Funken für Disco übrig haben sollte, so sei die Anschaffung unbedingt empfohlen.

Dienstag, Dezember 05, 2006

H.P. Zinker – In The Morning Light

Eine Compilation, die man haben musste. Nr. 117 im Vier-Spur-Sound, direkt aus dem Probekeller. Das letzte Stück kurz vor Auflösung der Band. H.P. singt mit von Rubinen belegter Stimme, D.W. schlägt als gäbe es ein Morgen ohne Grauen. Sechs Minuten Vergänglichkeit. Der Rest wird zur Geschichte, die erzählt von verklärter Hoffnung, von geplanter, aber immer wieder verworfener Zukunft, von erloschenen Monden. Oder von der Nacht, in der Du Dir eine letzte Zigarette angezündet hast, deren Glut bis zur Dämmerung brannte. Ob ich H.P. Zinkers Platte noch immer in Deinem Regal fände, wenn ich im ersten Morgenlicht nach Schlaf suchte?

Freitag, November 24, 2006

Il Grillo Parlante

Wer die Abenteuer des Pinocchio gelesen hat, wird sich vielleicht noch an die sprechende Grille erinnern. Sie redet der einfältigen Holzfigur immer dann ins Gewissen, wenn sie mal wieder auf einen Schwindel hereinzufallen droht. Doch auch wenn diese pädagogische Instanz für jede Situation das rechte Handeln aufzeigt, bringt Pinocchio sie stets mit einer abweisenden Geste zum Schweigen. Seither steht „Il Grillo Parlante“ im Italienischen sprichwörtlich für ein Werte wahrendes und gerade darum mitunter lästiges Gewissen, dessen Mahnungen der genuss- und abenteuerfreudige Mensch meist gegen jede so genannte „Vernunft“ ausschlägt.

Beppe Grillo ist die sprechende Grille Italiens. Seit nun fast dreißig Jahren hat der Fernsehmoderator, Kabarettist und Satiriker die undankbare Aufgabe übernommen, seinen Landsleuten ins nicht immer reine Gewissen zu reden, Missstände anzuklagen und vor allem Politiker jeglicher Couleur die Leviten zu lesen. Dabei geht es freilich nicht so dezent zu wie im Kinderbuch, aber immer laut und gerecht. Keiner der unzähligen öffentlichen Auftritte Beppe Grillos kommt ohne ätzende Monologe, aufstampfende Füße oder verwünschende Gesten aus. Sein unermüdliches Wirken und seine Popularität wurden Anfang des Jahres in einem ausführlichen Artikel in der Zeit gewürdigt. Dort steht eigentlich alles, was der deutsche Italienfreund über ihn wissen muss. An dieser Stelle sei aber noch die regelmäßige Lektüre von Beppe Grillos Blog empfohlen, der sicher, selbstironisch, unabhängig und stets unterhaltsam durch die für deutsche Beobachter nicht immer durchsichtigen italienischen Verhältnisse lotst – und den man übrigens auch in Englischer Sprache verfolgen kann. Bada, Grillaccio del mal'augurio!

Freitag, November 17, 2006

"Teurer Mausklick"

Nach der Lektüre dieses Artikels und der Prüfung meiner derzeitigen finanziellen Möglichkeiten habe ich beschlossen, alle Fotos auf dieser Seite, die nicht von mir geschossen oder mir nicht ausdrücklich zur Nutzung freigestellt worden sind, zu entfernen. Ich bitte die dadurch entstehenden inhaltlichen und graphischen Verzerrungen zu entschuldigen - aber Ihr kommt hier ja eh nur wegen der Texte gucken, nicht wahr?

Mittwoch, November 15, 2006

Giants

Wie ungerecht: Da schreibe ich über ein Lied von The The, aber in der Überschrift steht nicht „Slow Emotion Replay“. Dabei war „Dusk“ das Album des Jahres 1993, das am nachhaltigsten meine bis dato selbstverständlich gewordenen Hörgewohnheiten umgekrempelt hat. 1993 habe ich in einem heute nicht mehr existierenden Plattenladen gearbeitet und, höchst erfreut über den nahezu uneingeschränkten Zugriff auf Musik, alles gehört, was mir in die Finger kam, auch den hinterletzten Scheiß. Bis zu jenem Zeitpunkt konnte ich mit The The nicht viel anfangen. Es gibt Musik, da muss der Zeitpunkt einfach stimmen, man muss bereit für sie sein. Furchtlos gegenüber der Infragestellung und achtsam gegenüber der Koexistenz von Werten. Als dann die kongeniale Kollaboration von Matt Johnson und Johnny Marr meinem persönlichen Befindlichkeitshorizont mal eben ein paar Welt-Hits bescherte, fühlte ich mich nicht so sehr emotional überwältigt, sondern eher wie jemand, dem man alle Lebensweisheiten als trockenen Martini zum Bitte-nur-mal-dran-Nippen gereicht hat:

„'cause I ain't ever found peace upon the breast of a girl
I ain't ever found peace with the religion of the world
I ain't ever found peace at the bottom of a glass
sometimes it seems the more I ask for the less I receive“

Ob es die schwitzige Mundharmonika im Intro von „Dogs Of Lust“, die simple Treffsicherheit von „Lonely Planet“ („If you can’t change the world, change yourself. And if you can’t change yourself then…change the world“) oder eben die Zusammenfassung meiner kleinen spät-post-post-pubertären Lebenswelt in einem einzigen Song (wie gesagt: „Slow Emotion Replay“) war: Mit dieser Platte wird Matt Johnson unsterblich sein so lange ich lebe.

Bald darauf zog ich los und legte mir einen kleinen The-The-Back-Katalog an. So als ob es nur anderer Sinneseindrücke bedurfte, um das einmal Erlebte reproduzierbar zu machen. Das konnte natürlich nicht funktionieren. „Infected“ oder „Soul Miningsind zweifellos großartige Alben, aber ein erstes Date lässt sich eben nicht wiederholen – und dann war da ja auch noch die Sache mit dem Zeitpunkt…

„Giant“, das vorletzte Lied auf „Soul Mining“ hat sich ganz langsam, über einen langen Zeitraum, unbemerkt angeschlichen. Immer mal wieder ließ ich das Album versuchsweise durch meinen Player laufen, selten ist dabei etwas hängen geblieben. Ich könnte „den Zeitpunkt“ also gar nicht benennen, jenen Moment, in dem dieses 9-Minuten-Ungetüm mich mit all seiner Kraft gepackt und im Schleudergang durchgewirbelt hat. Aus heutiger Sicht wirkt vieles an „Giant“ etwas antiquiert: das 80er-Plastik-Schlagzeug aus dem Computer, der Synthesizer-Bass oder die Afro-Percussions und Kriegspfad-Gesänge, die gegen Ende die Führung im Arrangement übernehmen. Und doch ist nichts an „Giant“ peinlich, im Gegenteil sind all diese Elemente in ihrem Zusammenspiel unwiderstehlich hypnotisch. „Giant“ ist der große Bruder vom knapp 10 Jahre später aufgenommenen „Slow Emotion Replay“. „Giant“ ist Goliath, „Slow Emotion Replay“ sein David. So ein Satz wie „How Can Anyone Know Me When I Don’t Even Know Myself“ ebnete den Weg für „Everybody Knows What’s Going Wrong With The World – I Don’t Even Know What’s Going On In Myself“. Wer den „Kampf“ der Brüder gewonnen hat? Fragt mich doch noch mal, wenn es die Letzte Ölung gibt. Reinhören.

Samstag, November 11, 2006

Phoenix - Zeche - 3. November 2006

Aus einer (für diese Seite leicht überarbeiteten) Mail, die ich neulich an R.R.R. geschickt habe:

"Großartig - dieses Attribut gehört auch zum Phoenix-Konzert. Zunächst spielten ja die Fotos-Buben im Vorprogramm. Trotz kränkelndem Sänger durchaus unterhaltsam, aber es waren halt Buben. Ein schön durchmischtes Publikum passend zum 25-jährigen Zechen-Jubiläum. Eltern hafteten für ihre Vor-Abi-Kinder. Phoenix haben dann alles umgehauen, sehr rockig, noch druckvoller als auf der letzten Platte und dabei ungemein sympathisch. Auch die alten Songs im neuen Stachelpanzer. Als Zugabe ein äußerst charmanter Gruß an die Kollegen von Air. Schließlich ist der Sänger von der Bühne gesprungen und hat die begeisterte Menge erst ums Mikrokabel und dann um den kleinen Finger gewickelt. Alle waren völlig aus dem Häuschen. Habe ein paar Fotos gemacht, die müssen aber mal wieder erst entwickelt werden. Vielleicht gibt es auch noch einen ausführlichen Bericht auf meiner Blogseite, mal sehen...
"

Freitag, November 03, 2006

Dons Deppen II - Der Deppen-Daumen

Gestern Morgen zog ich ein Werbeprospekt der Firma „Auto Teile Unger“ aus dem Briefkasten. Darauf ein debil grinsender Michael Schumacher, der seine Faust nach vorne und daran seinen Daumen nach oben reckt. Wir kennen sie alle, diese Geste des virilen Optimismus, diese Dauererektion des kleinen Mannes, der seinen phallischen Lutscher nur zu gerne in die Kamera hält, kaum dass er ihn vom nuckeln entwöhnt hat. Der Deppen-Daumen steht nämlich immer, Potenzstörungen sind ihm fremd. Doch welche Intention mag wirklich mit dieser Gebärde verbunden sein? Allein ein „Prima!“, „Spitze!“ oder „Top!“ signalisieren zu wollen, rechtfertigt noch lange nicht ihre pestizidartige Verbreitung. Verbirgt sich dahinter vielleicht eine auf den Saugreflex der Damenwelt gerichtete Provokation? Oder ist es einfach nur ein arglos übernommenes atavistisches Relikt aus einer Zeit, in der das Auf oder Ab des Daumens über Leben oder Tod entschied? Daumen hoch, hier kommt der Gladiator der Gegenwart?

Michael Schumacher ist jedenfalls in bester Gesellschaft. Kaum eine Lokalmeldung kommt heute noch ohne die Dominanz des Deppen-Daumens aus. Kein Bürgermeister, Gewerkschafts-Vertreter, Ortsvereins-Vorsitzender oder Air-Berlin-Pilot, der nicht bereitwillig den Trimm-Dich-Pfad der Selbst-Vermarktung eingeschlagen hätte. Bleibt nur zu hoffen, dass die Daumen-Diktatoren bald ihre metrosexuelle Seite entdecken und sich das Ding sonst wo hinstecken. Zum Beispiel in den Mund. Da fällt mir gerade ein: Kommt jemand mit in „Thumbsucker“?

Samstag, Oktober 28, 2006

Nur die Guten I - 11. November

Der Don will nur die guten Lieder spielen. Was das denn heißen soll, wurde er von der Dine gefragt. „Na ja“, antwortet der Don, „bestimmt was von Hot Chip, aber vorher ein Lied zum tanzen. Auf jeden Fall aber eine Platte von Larry Levan und schreib mal auf, dass ich die letzte Prince nicht vergessen soll, okay?“ Die Dine erwidert darauf duldsam: „Mach Du mal, derweil stecke ich was von Soffy O., Coloma und The Whitest Boy Alive ein. Ach, und kannst Du mir die Dapayk & Padberg leihen?“ Die Antwort auf diese und alle anderen Fragen gibt es am 11. November in der Goldkante.

Nur die Guten I: Heartswing, Mo(o)ve & Electronica
Mit dem Don und der Dine als speziellen Gast
Samstag, 11. November 2006
Ab 21 Uhr (nur Profis fangen später an)
Goldkante

Montag, Oktober 23, 2006

Pillow - Flowing Seasons

In letzter Zeit höre ich ja nur noch unmännliche Heulsusenmusik. Das muss am Wechsel der Jahreszeiten liegen. Na, wenn das jetzt keine spitzen Überleitung zu "Flowing Seasons“ von Pillow war, weiß ich auch nicht. "Pillow“ heißt das Solo-Projekt von Luca Di Mira, seinerseits Keyboarder bei Giardini Di Miró. Deren aktuelles Album ist zwar auch gut, es kleistert die Tränendrüsen aber immer mal wieder mit lauten Saitenhieben und nervösen Klang-Eskapaden zu. Luca Di Mira geht viel behutsamer vor, setzt auf spartanische Akzente, ein paar Gaststars (finn., Nitrada) und erlangt gerade dadurch eine wohlige, unkitschig-melodische Schwermut. Ob leiser Auftakt ("Song For Beginning“) oder finale Tragödie ("With The Passing Of The Season“): "Flowing Seasons“ bietet acht geschmackssicher drapierte Kissen, in die man ungeniert Rotz und Wasser heulen oder wahlweise auch zum eignen „Joy Of Grief“ beißen darf. Wenn ich dann mal zu ende geflennt habe, schreibe ich wieder was über Dicke-Eier-Hip-Hop, versprochen. Reinhören.

Mittwoch, Oktober 18, 2006

Helmut Krausser im TuT

Das TuT gefüllt mit etwa 70 Anwesenden. Die halbe Literarische Gesellschaft Bochums scheint da zu sein, dann noch zwei Deutsch-LKs mit flink mitschreibenden Jungrezensenten, der Rest deckt alle Facetten moderner wie überkommener Erscheinungsformen des Typs „Bücherfreund“ ab. Um kurz nach zwanzig Uhr tritt Helmut Krausser auf die Bühne. Seine Bewegungen wirken dabei unbeholfen, sobald er aber sitzt und liest, bekommen Vortrag und Gestik eine affektierte und doch faszinierende Eleganz. Welcher Film denn mit dem ersten Kapitel parodiert würde, fragt der Autor zu Beginn und klärt im weiteren Verlauf selber darüber auf, dass es sich hierbei um eine ironische Dracula-Reminiszenz handele. Es folgen lange Passagen aus „Eros“, in die sich Krausser unvermittelt, ja nach Belieben ein- und ausklingt und als Alleskönner präsentiert. Reportage, Autobiographie, Dialog und ein schier unerschöpfliches Repertoire an Geschichten und Gedankenströmen: Kaum eine literarische Textform, die ihm nicht leicht von der Hand ginge. Dass Kraussers neuer Roman groß angelegte Lebens- und Zeitgeschichte(n), die Strukturen von Macht und Kontrolle und nicht zuletzt die Geschichte einer Obsession umreißt, konnte man bereits in den zahlreichen (und wieder einmal polarisierenden) Rezensionen lesen. Vor allem aber ist „Eros“ ein pompöses Feuerwerk unerhörter Begebenheiten und sein Autor einer der letzten Unbehaglichen, von denen man doch nicht lassen kann und auch nicht sollte.

Dienstag, Oktober 10, 2006

Die Jungfrau am Berge

Du, der Maxi hat ne neue Platte gemacht. Weißt du, die klingt so ein bisschen wie die ersten drei, nur, dass da jetzt ein anderes Label draufsteht. Mit der Kitty-Yo mag er nicht mehr spielen, vielleicht war da der Onkel Goethe dran Schuld? Du, ich weiß nich, jedenfalls kommt der Maxi bald wieder ins Grend und gibt da ein Konzert. Kommst Du mit? Im Grend spielt der ja nicht zum ersten Mal. Du, damals hat Dir das doch so gut gefallen, hast Du gesagt! Da hören wir bestimmt auch Lieder von der neuen Platte. „I’ll Be A Virgin, I’ll Be A Mountain“ heißt die. Die ist voll süß! Du, der Maxi singt jetzt manchmal auch mit tiefer Stimme, muss man sich echt dran gewöhnen, aber die Lieder sind trotzdem ganz gut. Also die meisten jedenfalls. Die ersten beiden Lieder sind total schön! Hör mal die anderen drei Platten, da sind die ersten beiden Lieder immer voll schön! Ist mir jetzt das erste Mal total aufgefallen! Und die neue Platte kann man sogar so kaufen, dass da zwei CDs drin sind und auf der andren sind noch mal sechs Lieder drauf, so Bonus-Lieder sind das. Du, das letzte Bonus Lied ist totaaaaal lang und voll traurig und voll nicht schön. Ich mag das echt nich. Das hat der Maxi auch gar nicht geschrieben, sondern so ein alter Mann. Bob Dylan heißt der. Warum macht der Maxi so was? Singt auf einmal Lieder von alten Männern nach! Der Maxi wird bestimmt nie alt, sein Leben lang wird der nur gute Lieder schreiben. Denn der Maxi hat doch so schöne Zähne, wer so schöne Zähne hat, der wird nie alt...

Dienstag, Oktober 03, 2006

Anarchie auf Zelluloid – Science Of Sleep

Vor zwei Jahren hat er vom Paradies der Erinnerung erzählt, nun führt Michel Gondry sein Publikum in das glitzernde Reich der Träume. Science of Sleep taucht in die wundersame Welt von Stephane ein, einem liebenswert-modernen Taugenichts, der sich in seine Nachbarin und Namens-Verwandte Stephanie verliebt. Bevor die beiden am Ende auf ihrem Pony durch den Himmel der Verliebten reiten können, wird dem Zuschauer einiges abverlangt. Er muss durch einen Irrgarten von Traum und Wirklichkeit, in dem sich Stephane selber nur allzu gern verliert. Denn die Liebe und der Traum haben eins gemein: Sie folgen ihrer eigenen undurchsichtigen Logik und verweigern sich den analytischen Zugriffen von außen mit immer neuen phantastischen Wendungen. Seine große Stärke, seinen unschlagbaren Zauber schöpft dieser Film aber nicht nur aus der Anarchie des Erzählens, sondern auch und vor allem aus der „Anarchie in Zellophan“, wie es Charlotte Gainsbourg gegen Ende einmal explizit ausspricht: Die Tricks für die Traum-Sequenzen scheinen direkt aus der Augsburger Puppenkiste oder alten tschechischen Animationsfilmen entnommen. Mit unglaublicher Hingabe und Liebe zum Detail hat man hier Dächer aus Pappmaché, Wolken aus Watte oder eben Wasser aus hellblauem Zellophan gebastelt. Man kann einfach nicht anders, als sich von diesem Allerlei überquellender Kuriositäten hinreißen zu lassen. Einen guten Einblick in den Reichtum an Kreativität und Ideen bekommt man auch auf der ebenfalls liebevoll inszenierten offiziellen Webseite zum Film. Beide zu besuchen wird hiermit dringend empfohlen.

Montag, September 25, 2006

Alle Jungen, alle Mädchen...

...zieht diese T-Shirts an, yeah yeah! Style ist ja bekanntlich alles. Und ein ordentliches Mode-Label die halbe Miete. Die "Guten"- Botschaft soll jedenfalls unter die Leute gebracht werden, darum gibt es sie jetzt auch als T-Shirt! Der erste Prototyp wird bereits getragen, die Eigenkollektion ist in Arbeit. Man kann dann das T-Shirt komplett erwerben (14 €) oder aber auch das eigene T.-Shirt mit dem "Guten"-Label verzieren lassen (5 €). Es gibt natürlich auch Kumpel-Konditionen, aber die muss ich noch mit meiner Design-Abteilung abklären. Die Kumpel-Konditionen kannst Du in Anspruch nehmen, wenn wir schon mal gemeinsam essen, pinkeln, auflegen oder saufen waren. Alternativ reicht es aber auch, wahlweise die Sätze "Prince finde ich toll" oder "Die Guten-Seite ist klasse" laut und deutlich und vor Zeugen auszusprechen. Bestellungen bitte an nur_die_guten[_a_t_]gmx-topmail[punkt]de.

Freitag, September 22, 2006

Fotos II

Und David Byrne in der Bochumer Jahrhunderthalle:

Fotos I

Ich hatte doch ein paar Fotos versprochen. Hier sind sie also (mit dem Layout hab ich's leider noch nicht so):
Maceo Parker im Dortmunder Domicil:

Mittwoch, September 20, 2006

The Album Leaf – Into The Blue Again

Der Blick auf die Welt im Cinemascope: Hier zählt nicht der Ausschnitt, hier geht es ums Ganze - das umfasst wird mit Songtiteln wie „The Light“, „Shine“, „See In You“ oder „Into The Sea“. Erhabene Empfindungen, die in die Breite gehen und auf weiten Wegen Zeit bekommen, sich zu entfalten, ohne dem dubiosen Reiz der großen selbstverliebten Geste zu erliegen. Nein, der Schöpfer dieser uferlosen Landschaften nimmt seine Hörer an die Hand und führt sie zielsicher zu intimen Momenten, die er ihnen ganz diskret überlässt. „Into The Blue Again“ ist nichts Geringeres als die Suche nach dem Archimedischen Punkt in der Musik. Ein Liebäugeln mit dem unhintergehbaren Ort, von wo aus die Melodie im Überblick und völlig transparent erscheint. James LaValle hat ihn beinahe gefunden.

Reinhören

Freitag, September 08, 2006

Prince - Ultimate

Just another Best-Of-Compilation? Nicht ganz. CD 1 hat zwar mit ihren "17 Classic Hits" keine Überraschungen zu bieten (außerdem haben frühere Zusammenstellungen vorgemacht, wie es noch besser geht), auf CD 2 funkeln jedoch einige Perlen, die in dieser Form (bzw. im CD-Format) selbst dem Hardcore-Fan bisher unbekannt oder zumindest schwer zugänglich gewesen sein dürften. Sheila E's "Fresh Dance Mix" von "Pop Life" oder die 12'-Versionen von "She's Always In My Hair", "Raspberry Beret" und "U Got The Look" erscheinen hier erstmals auf CD. Höhepunkt ist aber sicherlich der 8-Minuten-Dance Remix von "Let's Work". Denn wer bei eBay nie Glück und auf dem Konto kein Geld hat, dürfte bei der Suche nach dieser Vinyl-Rarität auf offiziellen Wegen kaum fündig werden. Natürlich fehlt auch Einiges: Warum man mal wieder auf "Love or Money" verzichtet hat oder niemand auf die Idee gekommen ist, das Funk-Monster "Sexy Dancer" endlich mal in der langen Version auf CD zu pressen (statt dessen aber die völlig überflüssigen (Re)Mixe von "Thieves In The Temple" oder "Cream" draufgepackt wurden, die man auf jedem Flohmarkt für ein paar Euro hinterhergeworfen bekommt), wird mir allerdings auf Ewig ein Rätsel bleiben. Hier geht es zur Trackliste.

Mittwoch, September 06, 2006

El Perro Del Mar

Nicht wirklich neu, diese Entdeckung. Fanden sich einige Lieder von El Perro Del Mar - das Projekt einer beängstigend schönen Frau aus Göteborg, die auf den Namen Sarah Assbring hört - doch bereits auf diversen Mixen, die mir hier und da zugeschustert worden sind. Inzwischen feiere ich mit dem ganzen Album jeden Tag aufs Neue Kindergeburtstag mit Karamel und Kandiszucker. Und labe mich an naiver Melancholie, wenn die Party vorbei ist. So Süßkram hat ja oft nur eine begrenzte Haltbarkeit, also schnell noch auf ihre Myspace-Seite klicken und in die Lieder reinhören (vor allem in "God Knows"), bevor man wieder Lust auf was Deftigeres bekommt. It's all good.

Freitag, September 01, 2006

Top-Ten der Suchbegriffe

Hier die Top-Ten der Suchbegriffe (Monat August), mit denen google-Nutzer zu mir gefunden haben. Ob nach ihrem Besuch noch Fragen offen geblieben sind, ist jedoch nicht überliefert:

bumsgeschichten3
mary lou ynda2
david axelrod biographie1
plattenkritik jazz funk maceo parker1
reinhören nacht voll schatten1
andreas büdinger1
juicy beats bilder 20061
prince candy dulfer nothing compares 2 u1
schminktipps für emos1
hochgeschlossenes kurzes kleid1

Dienstag, August 29, 2006

Tote Bilder: Battle In Heaven

Fellatio zu Beginn und am Ende der Geschichte. Jeweils derselbe neonkalte Raum, dieselben Akteure, nicht einmal ein Stellungswechsel hat stattgefunden. Und doch gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Szenen. Welchen?

Die Bilder in diesem Film sind Tableaux Vivants: Als Analogie, wenn sie archetypische Konflikte (Schuld, Betrug) und Beziehungsgeflechte (Abhängigkeit) nachstellen, aber auch als Negativ, indem Sie menschliche Stillleben präsentieren, deren düstere Regungslosigkeit ihr Pendant in einem schwerfälligen Erzählstil findet; und vor allem in der teilnahmslosen Mimik der Akteure. Denn selbst wenn Sie weinen, zuckt nicht ein Muskel in diesen lethargischen Gesichtern. Lediglich stumme Tränen zeugen von ihrer Trauer. Emotionen verschaffen sich in diesem Film wenn überhaupt dann nur in Aktionen Ausdruck: beim Sex, Autofahren oder Töten etwa. Doch auch ein Mord stellt hier keinen Höhepunkt dar, er gehört zum Fluss behäbiger Bilder (hierzu passt, dass sogar die expliziten Sexszenen den Orgasmus der Beteiligten aussparen). Zum Schluss dann also noch einmal ein Blow-Job: Endlich sprechen die Partner miteinander, scheinbar haben sie nun gelernt, miteinander zu kommunizieren, sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen und vor allem: zu Lächeln! In ihre Gesichter ist Bewegung gekommen. Doch ist diese letzte Szene bezeichnenderweise ebenfalls nur ein heraufbeschworenes Bild, eine Wunschvorstellung des Anti-Helden Marcos vielleicht. Das junge schöne Mädchen und der dicke ältere Mann: Sie beide sind da schon tot. Ein Film, der von seinen toten Bildern lebt.

Dienstag, August 22, 2006

Byrne, Baby, Byrne!

(Foto folgt auch hier, äh, demnächst) Century Of Song in der Jahrhunderthalle, 20. August 2006. Joe Henry hat bereits neun Alben veröffentlicht, ich hatte bis letzten Sonntag noch nie was von ihm gehört. Warum eigentlich nicht? Warum setze auch ich zu oft auf diejenigen, die am lautesten Schreien bzw. über die so laut geschrieen wird? Warum wundere ich mich dann immer wieder über langweiligen Lärm? Selber Schuld. In all dem Krach und der eigenen Bequemlichkeit geht jemand wie Joe Henry schnell unter, dabei ist es gerade sein herrlich unprätentiöses Auftreten, welches für ihn einnimmt. Seine Musik ist im besten Sinne des Wortes schnörkellos. Sie ist schwerblütig genug, um zu berühren und gewandt genug, um zu begeistern. Oft habe ich während seines Spiels den Kopf in den Nacken geworfen und mir von den zuneigungsvollen Tönen, die da von der Bühne kamen, das Kinn kraulen lassen. Das Publikum wurde ganz langsam, immer höher, auf einen Gipfel geführt, und dort angelangt bekam es dann eine überwältigende Interpretation von Gershwins „It Ain't Necessarily So“ geboten (Popsongs sind wie Prostituierte: Jeder, der genug zahlt, darf sich daran vergreifen. In einigen Fällen macht sie das nicht weniger einzigartig oder begehrenswert. Ich mag übrigens auch das Cover von Bronski Beat). Zum Abschied, wir waren wieder sicher im Tal angelangt, spielte Henry dann noch „Flag“ vom letzten Album „Tiny Voices“. Prädikat: unbedingt kaufen!

Als David Byrne dann auf die Bühne tritt, ist das erste, was A. zu mir sagt „Lichtgestalt“: das hellgraue Haar, der weiße Nadelstreifenanzug – um ihn herum leuchtet die Aura des Künstlers im Zeitalter seiner Unkompromittierbarkeit. Dass er recht ulkig auf der Bühne herumstakt, ist natürlich nur Show und soll den Zuschauer in die Irre führen. Es geht sofort standesgemäß zur Sache mit „Nothing But Flowers“, erst einmal nur mit schlanker Bandbegleitung. You got it, we got it. Unter dem Kronleuchter, im hinteren Teil der Bühne, warten die Duisburger Sinfoniker auf ihren Einsatz. Als der kommt, geht die Revue los, wobei die Elemente klassischer Musik in den Hintergrund geraten und eher so etwas wie ein folkiger Big-Band-Sound geschaffen wird, irgendwo zwischen Los Lobos und Las Vegas. Byrnes Lust an der eigenen Verspieltheit scheint keine Grenzen zu kennen: Eigenes folgt auf Giuseppe Verdi, Heads-Songs folgen auf Country-Klassiker (schön, dass dazu Joe Henry noch einmal auf die Bühne kommt). Die Würfel fallen immer wieder neu, man weiß nie, was als nächstes kommt. Warum auch, die Langeweile ist gerade woanders, das Publikum euphorisch. Es gibt eine Zugabe, noch ein paar Verbeugungen und dann ist er vorbei, der Abend, an dem alles gepasst hat. Vor allem das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. This Must Be The Place.

Mittwoch, August 16, 2006

Dons Deppen I – Oliver Geißen

Oliver Geißen ist der Sohn eines Fischhändlers. „Er wollte zunächst Tierarzt werden“, heißt es im Wikipedia-Artikel über ihn. Fischhändler und Tierarzt – das sind ehrenwerte Berufe. Immerhin fordern sie einen freiwilligen (und sinnvollen, weil für andere nützlichen) Umgang mit Gestank. Weder tote Fische noch kranke Tiere riechen besonders gut. So etwas verdient den höchsten Respekt. Oliver Geißen ist jedoch nicht Tierarzt, sondern Depp geworden, und man darf sich nun die Frage stellen, an welcher Weggabelung seiner Biographie er die Richtung zum Deppen eingeschlagen hat. Waren es die zwei Jahre Bundeswehr? Hat er für den Kommiss (verständlicherweise) aufgehört zu denken und danach einfach nicht wieder angefangen? Oder ist ihm während seiner Zeit bei den Hamburg Blue Devils ein Football mal zu derbe gegen die Birne geknallt? Wir wissen es nicht – und doch gibt uns der Wikipedia-Artikel einen heißen Tipp: „Seine ersten Moderationsschritte wagte Geissen beim privaten Jugendsender "OK Radio" in Hamburg und erreichte in der Hansestadt dadurch eine große Bekanntheit.“ Das ist es! Allein schon „OK Radio“ klingt ja mindestens so bekloppt wie "OK Italia". Hier muss Oliver Geißen in ungezählten Moderationsstunden das schwierige Handwerk des die Einfältigkeit der geladenen Gäste süffisant Überbietenden gelernt haben. Man denke nur an den Auftritt von Hubert Kah in irgendeiner der von Geißen moderierten 80er-Shows. Kah, der sichtlich verwirrt und vermutlich unter Drogeneinfluss was von einer neuen Single, die aber noch nicht gepresst sei, faselte, wurde in seinem Redefluss von Geißen mit einem eloquent-herablassenden „Ahhh…ja!“ abgekanzelt. Bereits zuvor kam von Geißen nichts als ein freches Krötengrinsen und zwei drei oberflächlich-belanglose Fragen a la „Wie war das denn damals in den 80ern?“ Kah ging gegen diese Dummheit mit der eigenen, das heißt mit endlos verschwurbeltem Eso-Geschwafel, an. Er verstieß dabei gegen die ungeschriebenen Gesetze des Non-Diskurses, des „Wir tun so als ob wir uns unterhalten, ohne wirklich etwas zu sagen“. Denn auf so eine Frage hätte er allerhöchstens mit 10 Wörtern verteilt auf zwei Sätze antworten dürfen. Stattdessen ein nicht enden wollender Rede-Schwall. Dies darf der Gralshüter des Non(sens)-Diskurses natürlich nicht zulassen, also fällt Geißen seinem Gast ins Wort bevor es zu unbeabsichtigt sinnhaften Äußerungen kommen kann. Unvergessen auch seine Erwiderung auf Désirée Nosbuschs Coming Out als Prince-Fan: Völlig überfordert von der Bekenntnis zu solch einer obskuren Leidenschaft, setzte er wieder sein bewährtes, weil Überlegenheit suggerierendes Krötenlächeln auf und verkündete ein in seiner Originalität noch nie dagewesenes „Lebt der noch?“ Die Ausdifferenzierung seiner Rede erreichte schließlich mit dem Uraltwitz über „TAFKAP-Prince“ („Wie heißt der jetzt eigentlich?“) ihren vorläufigen Höhepunkt. Klar, dass Geißen sich spätestens hier die Aufnahme in „Dons Deppen“ redlich verdient hatte, zumal er auch unfreiwillig ein nicht unwesentliches Deppen-Kriterium erfüllte: das Fremdschämen.

Dons Deppen – Das Manifest

„Dons Deppen“ ist eine auf der Blogseite „Nur die Guten“ in unregelmäßigen Abständen erscheinende Rubrik, die sich in besonderem Maße der Aufdeckung des nicht immer unmittelbar erkennbaren Deppentums verpflichtet fühlt. Dabei richtet sich das Augenmerk auf Personen der Zeitgeschichte, die sich auf (pop)kulturellem Felde durch verbürgte, penetrante und darum (den Autor dieser Zeilen) besonders nervende Dummheit hervorgetan haben. Dem aufmerksamen Leser entgeht sicherlich nicht, dass ein solches Vorhaben zunächst einmal im schroffen Gegensatz zu der Grundidee der „Guten“-Seite (wie sie ja bereits im Titel formuliert ist) steht. Mit „Dons Deppen“ hat sich der Initiator von „Nur die Guten“ nun das korrektive Negativ zur eigenen Eierkuchen-Mentalität geschaffen. Dabei trägt er ganz nebenbei auch der Tatsache Rechnung, dass es „da draußen“ (das ist dort, wo die Leserschaft sitzt) auch jede Menge Bullshit zu ertragen gibt. Anders ausgedrückt: Mit „Dons Deppen“ hält auf Dons Seite endlich auch mal ein Stück Lebenswirklichkeit Einzug. Und um den „Best of“-Anspruch von „Nur die Guten“ nicht völlig über Bord zu werfen, werden in „Dons Deppen“ natürlich nur die dümmsten Deppen vorgestellt. Versprochen!

Montag, August 14, 2006

What about the band? Maceo Parker – Domicil Dortmund – 9. August 2006

(Foto folgt demnächst) Die nächste Altherrenveranstaltung. Der Altersdurchschnitt so um die Mitte vierzig. Bis kurz vor Konzertbeginn kann man sich mühelos in die erste Reihe mogeln. Neben mir zwei Damen weit über fünfzig, eingezwängt in knappe Klamotten für Zwanzigjährige. Die Dellen ihrer nackten Oberarme reiben sich an meinem Prince-T-Shirt, auf das mich ein glatzköpfiger Typ, der auf dem Rand der Bühne sitzt und sich eine raucht, anspricht. Ob ich denn auf der Tour gewesen sei. Wir kommen ins Gespräch, verplaudern uns nett die Zeit. Um kurz nach halb neun wird es dunkel. Eine papageigrün gekleidete Dame tritt ans Mikro, erzählt irgendwas mit „funky“, man kann sie kaum verstehen. Ihr greller Dress passt auch überhaupt nicht zu den maßgeschneiderten Anzügen der Musiker, die nun auf die Bühne treten. Ein dicker Bassist schlägt den Groove vor, in den sich nach und nach alle einfinden. Der grüne Papagei krächzt munter seinen Sermon weiter, der irgendwann mal, endlich, mit „MACEO“ endet – und da steht er auch schon, dieser ältere smart lächelnde Herr mit seinem Maßanzug, der coolen Sonnenbrille und dem goldblitzenden Saxofon in der Hand. Über alles, was jetzt folgt, wurde schon tausendmal geschrieben, und es ist ein Leichtes, sich aus dem unerschöpflichen Repertoire von Phrasen und Gemeinplätzen, die es zu Maceo Parker live gibt, zu bedienen. Einer dieser Sätze stammt von ihm selbst: "Two Percent Jazz and 98 Percent Funky Stuff!" – und das trifft natürlich auch auf den Abend im Domicil zu. Will sagen: Wer zu einem Maceo-Parker-Konzet geht, weiß, was ihn erwartet, der will auch nichts anderes sehen und hören: All die Großtaten, die der Grandseigneur im Laufe der Jahre uns schon vorgeblasen hat, natürlich viel James Brown, zwischendurch ein par Solo-Sachen oder ein Rap vom Sohn Corey Parker. Und weil uns Maceo nicht die ganze Zeit einen blasen kann, singt er auch, z.B. eine Ballade von Ray Charles, oder fordert das Publikum immer wieder dazu auf, nicht nur ihn alleine zu ehren: „What about the band?“ – noch so eine Phrase, die es am Merchandise-Stand sogar als T-Shirt gibt. Zu Recht, denn die „Band“ ist natürlich weltklasse: stets zu Diensten, aber auch antreibend, setzt sie Pointen und Akzente und vereinigt doch alles zu einem einzigen, unwiderstehlichen Groove. Wenn ich nun Greg Boyer stellvertretend für die anderen hervorhebe, dann nur, weil er direkt vor mir stand und weil er sich angesichts meines T-Shirts und meiner Huldigungen das ein oder andere süffisante Lächeln nicht verkneifen konnte. Macht nix, ich wollte halt nicht anders, als mich wie ein pubertierender Teenager freuen, der mit seinen Helden mal Tuchfühlung halten darf. Eine Erwartung wurde übrigens doch nicht erfüllt: Inklusive Zugabe spielte die Band nur zwei Stunden und fünfzig Minuten. Ein Maceo-Konzert, das unter der Drei-Stunden-Marke bleibt? Das war wirklich ungewöhnlich.

Dienstag, August 08, 2006

Juicy Beats 11 – 29. Juli 2006

Mal ganz ehrlich: Das Juicy-Beats ist im Vergleich zum Haldern die altherrengerechtere Veranstaltung: Nach einem Festivaltag kann man wieder daheim im eigenen Bett schlafen und wird nicht morgens um drei von weltschmerzgeplagten Emo-Kids geweckt, die auf das ohnehin schon klamme Zelt kotzen; man muss nicht über dem hungrigen Allesfresser-Schlund eines Dixi-Klos defäkieren, außerdem ist man in Dortmund auch dann noch styletechnisch vorne mit dabei, wenn sich das lichter werdende Haupthaar nicht mehr ohne Weiteres zum Playmobilscheitel kämmen lässt. Das alles entscheidende Argument ist jedoch: Beim Haldern ist das Wetter immer mies, beim Juicy Beats nie!

Und weil das Ding ja eigentlich schon lange gelaufen ist, hier nur das Wichtigste im Schweinsgalopp: An der Ananasbühne die mit reichlich Verspätung aufspielenden Monoland gesehen. Die wenigen Anwesenden saßen hinten oder seitlich im Schatten und nuckelten vor der knallenden Sonne geschützt am mitgebrachten Eistee-Tetrapack. Das war alles nicht besonders spannend, aber sehr gemütlich. Gleich danach ging’s weiter zum Höhepunkt des Tages: Jamie Lidell, Gewinner im diesjährigen Joan-Collins-Morgenmantel-Lookalike-Contest und Fackelträger des crooning im 21. Jahrhundert. Einnehmend, irrsinnig, druckvoll und mit einer Sprühdose Ideen unterwegs. Jamie jagte James Brown durch seine Sequenzer und anschließend durch die Menge, auf der Suche nach mehr oder weniger freiwilligen Begleitsängern. Mich hielt er wohl für einen solchen. Arm auf der Schulter, Mikro im Gesicht, 15 Sekunden Ruhm. Es gibt zwar Zeugen, aber leider keine Fotos. Kurze Atempause, rüber zur Orange. Erobique lässt sein Standardprogramm ablaufen, diesmal mit etwas mehr Bock auf Disco, mein großer Bruder Disco, mit dem ich immer wieder gerne tanzen gehe. Zwischendurch ein paar peinliche Luftpiloten auf der Bühne: Arme auf waagerecht, Handflächen nach oben und mit der Nase den Horizont pinseln. Dann im Prinzip nahtloser Übergang zu Egoexpress, die mit ihren Beats mein Rückenmark betäuben. Das ist gut so, so spüre ich meine Beine erst nach dem Set. Höchste Zeit fürs Ausstrecken auf der Festwiese, während Senor Coconut ein paar Cocktails mixen. Entspanntes Leute-glotzen. Schließlich die mit Spannung erwarteten Coldcut. Enorme Equipment-Geschütze werden aufgefahren, die Reize feuern aus allen Rohren, doch ist mir diese Klang- und Bildkakophonie zu zerfahren, die Performance zu richtungslos, als dass sie mich wirklich fesseln kann. Und kein Mensch braucht heutzutage noch ein „Pump up the volume“-Sample. Ich bin erstaunt, aber nicht ergriffen. Macht nix, dennoch der würdige Abschluss eines fidelen Tages. Freue mich schon voll auf die 12.

Donnerstag, August 03, 2006

You Can't Always Get What You Want - Das Bravo-Orakel

Wo das Bravo-Orakel gerade die Runde macht, soll es auch hier nicht fehlen:

Unter dem Titel des „Mick Jagger“ Geborene neigen zu einer gewissen Großmäuligkeit. Ihre Lippenbekenntnisse sind zahlreich, schnell schießen sie auch mal unbedarft aus der Hüfte. Sie sind sehr nachtragend, sympathisieren mitunter sogar mit dem Teufel und verlangen bei jeder Gelegenheit Satisfaktion. Ihre impulsive Art bringt gute Kumpel schon mal auf die Palme, doch dank einer sozusagen angeborenen Verlässlichkeit, stehen die Jaggeristen dann auch unten und fangen die Nüsse wie sie fallen. Im Umgang mit dem anderen Geschlecht flippern sie sich mitunter recht unbeholfen an Targets und Ejects vorbei direkt zum Tilt. Schließlich scheuen Jaggeristen mit zunehmendem Alter das Experiment. Lieber setzen sie auf Bewährtes und nölen sich bis zum bitteren Ende durch die ewig selbe Leier.

Mittwoch, August 02, 2006

EBTG / ADA – Each And Every One

Roter Tau am Morgen. Die Wunde Sex blutet noch von letzter Nacht. Müde Euphorie, die sich aus dem Fenster hängt: mein Blick entlang der grauen Wand mit weißen Quadraten, hinter denen hundert unbekannte Schicksale hausen. Mit einem von ihnen bin ich nun verbunden. Mein Finger drückt auf „Play“, süßes Lied des Anbruchs aus dem Garten Eden: Bläser boxen ein vierfaches Präludium durch den Raum, in dem sich ein Percussion-Teppich ausrollt, um zum Jazz-Matinee einzuladen. Eine dunkle Frauenstimme swingt sich zur Theke, singt zornig vom Ende einer Liebe und kippt zum Abschied noch einen letzten Drink herunter. „Being kind is just a way to keep me under your thumb and I can cry because that's something we've always done“. Was gestern Nacht begann, hat ein Ende auf Abruf. Ich drehe lauter, die Zeit, die es noch hat, will ich genießen.

Viele Jahre später schreibe ich das auf, belächle meinen in der Manier durchschnittlicher Popliteraten unternommenen Versuch, lieb gewonnene Lieder an längst vergessene Bumsgeschichten zu koppeln. Manchmal möchte man eben gerne wie alle anderen sein. Und manchmal ist es Zeit für ein neues Kostüm, das vorgaukelt, man wäre plötzlich jemand ganz anderes, „the same thing in different guise“. Auf dem Plattenteller liegt Seite C von Blondie. Was zuvor einen sexy kurzen Rock anhatte, wird hier in ein langes, kühl-hochgeschlossenes Rhythmus-Kleid gesteckt: „You tell me I'm free of the past now and all those lies“. Doch trotz der Zurückhaltung kristallisiert sich Zorn nun zu Zucker: Ehe man sich versieht, tanzt man bereits durch einen üppigen Raum aus Verführung, ergibt sich dem langen Vorspiel, bis die liebreizende Stimme endlich zaghaft einsetzt. Sie traut sich nicht so recht zu singen, lässt zum Ende hin sogar die Wiederholung einer Strophe weg. Dafür überschlägt sich der Rhythmus, dem Kleid platzen die Nähte, Knöpfe schießen umher, schließlich wackelt die ganze Bude. Ada schnürt mit ihrer Interpretation ein atemberaubendes Korsett auf, schmiert den frei gewordenen Leib mit Honig, aber auch mit ein wenig Teer ein. Damit die neuen Federn auch wirklich halten. Dabei lächelt sie lieb und denkt sich: Kleider machen heute! Ich drehe lauter, der Abruf hat ein Ende, die Zeit, die es sich nimmt, will ich genießen.

Reinhören / Reinhören

Freitag, Juli 28, 2006

Girl Bros.

Bei der Hitze kann ja kein Mensch schlafen. Also ich jedenfalls nicht. Was macht man also, wenn's auf der Matratze zu heiß, wenn das Buch längst durchgelesen, es zum Telefonieren zu spät und zum TV-Glotzen zu blöd ist? Richtig, man surft auf seinen Lieblingsseiten rum. Da jedoch der NPG-Musicclub seine Pforten geschlossen (und Prince bekanntlich nicht mal mehr eine Frau) hat, verschlägt es einen zu Künstlern, die man inzwischen ein wenig aus den Augen verloren glaubte. Über Wendy & Lisa zu schreiben ist für mich in etwa so wie über Prince zu schreiben: Ich werde nicht einen sachlichen Satz zu dem Thema zustande bringen, nur so etwas wie "werde ich immer über alle Maßen lieben". Sätze also, bei denen es mit dem Informationsgehalt nicht weit her ist. Freilich, der ein oder andere kleine Unterschied lässt sich dann doch ausmachen: Prince hat nämlich - so objektiv muss man wohl sein - auch schlechte Lieder respektive Platten gemacht. Wendy & Lisa nicht. Wie ein Schwamm habe ich ihre Musik aufgesaugt. Dabei hat mich vielleicht nicht immer alles berührt, doch gab es nicht ein Lied, das mich nicht überzeugt hätte. Und was ich gestern Nacht sozusagen noch einmal neu für mich entdeckt habe, ist das faszinierende Künstler- und Musikerkollektiv, das sich im Girl Bros.net tummelt, die unzähligen Verästelungen und Verzweigungen, welche in Bereiche greifen, die auf den ersten Blick zwar nichts mit dem klassischen Minneapolis Sound zu tun haben, die aber bei genauerer Betrachtungen Verbindungen aufdecken, die Sinn machen und Verstehensprozesse in Gang setzen. Dafür steht allein schon die Erkenntnis, dass Gary Coleman, Lisas Vater, auf gefühlten drei Viertel der Platten, die in meiner Sammlung stehen, mitgespielt haben muss (wer mit Eddie Kendricks, David Axelrod und Steely Dan gespielt hat, kann nur Gott sein. Und für Wendys Vater, Mike Melvoin, gilt im Prinzip dasselbe). Dann gab es da noch David Coleman, Lisas Bruder, ohne den es einen der großartigsten Prince-Platten-Opener (Around The World In A Day), nie gegeben hätte und der leider im Jahre 2004 verstorben ist. Wendys Bruder, Jonathan Melvoin, ist bereits seit 1996 tot. Ihn kennt man, je nach Blickrichtung, entweder als Tour-Drummer der Smashing Pumpkins oder eben weil man vor ca. 20 Jahren von "Do U Lie?" um seine kleinen Drum-Licks gewickelt worden ist. Wendys Zwillingsschwester Susannah wiederum hat auf dem Original von "Nothing Compares 2 U" gesungen und auf so ziemlich jeder Platte von Doyle Bramhall II. Man könnte noch ewig so weiterspinnen (Wendy, Lisa und Doyle haben z.B. noch hier mitgespielt oder da), aber es wird langsam unübersichtlich - dabei habe ich über Mary Lou Ynda noch kein Wort verloren und will von Waldorf Salad gar nicht erst anfangen (obwohl damit doch alles angefangen hat). Zwei Dinge sind mir gestern Nacht jedenfalls klar geworden: Es wird höchst Zeit für ein neues Wendy & Lisa-Album. Und: Meine Nächte sind gerettet!

Montag, Juli 24, 2006

Best Of Google-Referer, Part Two

Und um hier mal wieder die Kernkompetenzen ins richtige Licht zu rücken: Sucht man nach "The Rainbow Children", kann es nur einen "Gewinner" geben!

Samstag, Juli 22, 2006

Best Of Google-Referer, Part One

Sucht man sachkundige Antwort auf die Frage "Wie müssen geschminkte Augen aussehen?", so steht meine kleine Seite in der Liste kompetenter Ansprechpartner immerhin an zweiter Stelle. Demnächst hier also auch die Rubrik "nur die guten Schminktipps"...

Donnerstag, Juli 20, 2006

The Durutti Column – Sketch For Summer

Ich höre selten Radio. Es gibt einfach kaum eine Sendung, die mich interessiert. Und wenn ich es doch mal einschalte, dann meist im Auto, auf der Autobahn. Beim Fahren zwei Filme vor meinem geistigen Auge: In dem einen sieht man meine Einzelteile (und die meines Autos) entlang der Leitplanke verteilt, mitten auf der Fahrbahn eine immer schneller um sich selbst eiernde Radkappe und dazu spielt irgendeine Eins-Live-Combo, dessen schrottiges Plärren am seidenen Faden des letzten funktionierenden Kabels hängt. Der andere Film zeigt Fernfahrerromantik: Wie ich auf kaum befahrener Autobahn das Lenkrad gen Sonnenuntergang halte. Der passende Soundtrack zu beiden Filmen wäre Sketch For Summer von The Durutti Column.

The Durutti Column – das ist das Ein-Mann-Band-Projekt von Vini Reilly. 1980 erschein bei Factory Records das erste Album
The Return of the Durutti Column. Darauf sind neun Instrumentalstücke zu hören, es beginnt mit Sketch For Summer. Zum ersten Mal habe ich das Lied bei Up From The Underground gehört (mit 9 stand ich halt eher auf Baccara als auf so was), während einer dieser besagten Autobahnfahrten. Das Stück ist recht simpel gehalten, eigentlich besteht es nur aus 2 Melodiebögen, die sich in mehreren Schleifen umeinander krümmen und in Wiederholungen variiert werden. Es beginnt mit einem im Telespiel-Sound generierten Vogelgezwitscher, bald darauf puckert ein düsterer und altersschwacher Drum-Computer los bis sich endlich, in mehreren Schichten, dieses unglaublich herzzerreißende Gitarrenspiel über alles schiebt. Zwei Aspekte machen Sketch For Summer – mal abgesehen von der keiner Worte bedürfenden Schönheit der Musik – für mich so einzigartig: Zum einen ist der Titel perfekt. Sketch For Summer trifft in drei Worten genau die Stimmung der Musik: Ein sich in vorübergehender Melancholie verzehrender (aber jedes Jahr aufs Neue wiederkehrender!) Sommer. Flüchtiges und ewig Wiederkehrendes. Zum anderen ist das Lied auch deswegen perfekt, weil es nicht lang genug ist (Maneater, z.B., von Nelly Furtado ist ein guter Popsong, aber wie Millionen anderer guter Popsongs ist er lang genug, und man mag es irgendwann mal nicht mehr hören). Wohlgemerkt, Sketch For Summer ist nicht zu kurz. Im Rahmen seines selbst gewählten musikalischen Themas steckt das Stück alle möglichen Grenzen ab und holt aus sich das heraus, was herauszuholen ist. Und doch ist es nicht lang genug. Es ist nämlich auch nach dem 3465. Hören immer noch schade, wenn das Lied vorbei ist, es hinterlässt beim Hörer das immer wieder aufs Neue schmerzhafte Verlangen nach mehr. Vini Reilly schafft in drei Minuten das, wofür Miles Davis eine ganze Platte gebraucht hat. Hätte Miles Davis Gitarre gespielt, würde es wohl so geklungen haben wie Sketch For Summer. Und weil ich so auf Romantik stehe und weil ich von diesen Liedern, die nicht lang genug sind, nicht genug kriegen kann, werde ich auch in Zukunft das Lenkrad weg von der Leitplanke in Richtung Sonnenuntergang steuern, wenn ich mich mal wieder über das verfluchte Radioprogramm ärgere.

Dienstag, Juli 18, 2006

Bernd Cailloux: Das Geschäftsjahr 1968/69

Man hat hier und da die „präzise Lakonie“ gelobt oder war von dem „hinreißend lakonische[n] Porträt der 68er-Generation“ begeistert, die Bernd Cailloux in seinem Roman „Das Geschäftsjahr 1968/69“ gezeichnet hat. Die eigene Lektüre des Buches bestätigt zunächst diesen Eindruck der Kritiker. Doch was heißt eigentlich Lakonie? Unser aller Lieblingsenzyklopädie, Wikipedia, meint dazu:

„Als lakonisch (griech. lakonikos, lat. lacinicus) wird eine knappe, kurze Ausdrucksweise ohne schmückende Elemente bezeichnet.“

So ein „lakonischer Stil“ lässt sich bei Cailloux, der mit kurzen Sätzen, vielen Absätzen und wenigen metaphorischen Zusätzen arbeitet, in der Tat ausmachen. Und doch trifft diese für das Ganze geltende Beschreibung es nicht ganz, wenn man aufs Detail schaut. Denn so wie die Stroboskop-Blitze der Muße-Gesellschaft, die der Ich-Erzähler zusammen mit seinem Freund Andreas Büdinger gegründet hat, durch die Diskotheken der erzählten Zeit zucken, so schlagen immer wieder scharfe und wie im Rausch pointierte Sprachblitze in die scheinbar schmucklose Lakonie des Erzählens. Etwa beim ersten großen Einsatz der Blitzgeräte zum Abschluss der Internationalen Songtage in der Essener Grugahalle 1968. Ein überwältigender Erfolg für die Muße-Gesellschaft, der den Protagonisten auf eine höhere Ebene des Erlebens hebt: „Im Taupunkt der Nacht hatte ich mich für einen kurzen [...] Moment frei gefühlt; frei von jeder Absicht, von jeglichem Zwang. [...] Das starre Gerippe des Ehrgeizes, der Fanatismus war gewichen, diese Erblast, immer eine Art Endsieg zu wollen, wie weggeblasen von der Orgie aus Musik und Licht.“ Oder wenn der Einsame seine Club-Besuche beschreibt und „die Träumer am Tresen“ versteht, weil sie wie er „einmal mehr am Nullpunkt der Nacht“ alleine dastehen. Der aber auch noch zum Schluss – nachdem er mit der Muße-Gesellschaft seinen Widerspruch des „Hippie-Businessman" gelebt und eine zur Geschäftsbeziehung gebrochene Freundschaft erfahren hat – an das „proustsche Blitzchen der Subversion“ glaubt. Es sind vor allem diese kleinen Juwele von Sätzen, die man sich am liebsten um den Hals hängen möchte, damit es um einen herum immer funkelt. Sie machen Cailloux’ Roman zu einem reichen Sammelsurium sympathisch-unspektakulärer Lebensweisheiten, wie „Vielleicht war ja das Schöne am Sex, solange wie möglich nicht zu wissen, um was es ging“ oder: „Das Glück lag immer hinter der nächsten Wand, damals wie heute“.

Das Porträt einer ganzen Generation mag, wie es die Spiegel-Rezension verspricht, „hinreißend lakonisch“ sein, das Buch von Bernd Cailloux ist es – zum Glück – nicht nur.

Montag, Juli 17, 2006

Solino

Wir suchen in Liedern, in Filmen, in Büchern, in Kunstwerken immer eine Bestätigung für das eigene Ich, stets danach Ausschau haltend, ob wir in der scheinbar wohlvertrauten Umgebung nicht doch noch einen Winkel finden, dessen Beschaffenheit uns bisher verborgen geblieben ist. Und wenn wir uns dann in ihn hinein­begeben, haben wir einen schönen neuen Ausblick auf unser Selbst. Regisseur Fatih Akin gibt ihn frei, diesen ungewohnten Blick auf uns selbst, indem er eine Geschichte über die Erfahrung des Fremden erzählt: Wie Familie Amato das heimatliche Dorf in Italien verlässt, um im tristen Duisburg allen Sprach- und Kulturbarrieren zum Trotz die erste Pizzeria des Ruhrgebiets zu eröffnen. Der Bezug zum Lebenslauf des Zuschauers ist garantiert, indem mit uralten Themen aus Familiensagen – Dreiecksbeziehung, Bruderzwist, Eifersucht, Ehebruch und Versöhnung der Brüder am Schluss – in einer Mischung aus Einwanderer-, Liebes- und Selbstfindungschronik ein Kaleidoskop sich überschneidender Projektionsflächen aufgemacht wird. Die eigentliche Botschaft des Films legt Fatih Akin bezeichnenderweise einem Regisseur – Baldi – in den Mund. Sie passt zum heißen Temperament der Hauptakteure: Lebe Dein Leben mit Feuer und Leidenschaft. --- Und schließlich: Komm, wir stellen uns in die Straße, in der Du aufgewachsen bist. Ich halte Dir von hinten die Augen zu und Du sagst mir, welche Farbe die einzelnen Häuser haben. Solino oder Duisburg – das versteht man überall.

Samstag, Juli 15, 2006

If This Ain't Good (Don't Know What Is)

Aus Finnland kam zuletzt so Einiges und rollte über uns hinweg: Erst das kurzweilig-donnernde "Hard Rock Hallelujah", das man bis nach Athen hören konnte. Und nun erreicht uns neue Kunde aus Helsinki, die umwerfende Stimme von Nicole Willis, die als weiblicher Orpheus und apart frisierte Muse von Jimi Tenor auch noch den hinterletzten Michel von seiner Winterschlafbank singt. Bereits seit Dezember letzten Jahres lief die grandiose Single “If This Ain’t Love (Don't Know What Is)“ auf jeder guten Tanzveranstaltung. Jetzt! Endlich! ist das Album da bzw. auch hierzulande erhältlich, ohne teure Importe beziehen zu müssen. Die Platte funktioniert eigentlich ganz einfach, wir kennen das Rezept bereits von Sharon Jones & The Dap Kings: Man nehme eine Soul-Platte von heute so auf als ob sie vor 30 Jahren produziert und eingespielt worden wäre. Am besten noch mit gänzlich analogem Equipment. Und bitte so, dass man keinen Unterschied hört. Die Soul Investigators, bei denen Jimi höchstpersönlich in die Flöte bläst, dachten sich, das können wir auch. Und ob sie können! Keep Reaching Up!

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Donnerstag, Juli 13, 2006

The Painter

Mein Lied des Jahres 2005 erschien bereits 1975. Hätte ich einen Last-FM-Account, so wäre „The Painter“ von der Rance Allen Group dort jedenfalls der am häufigsten gespielte „Top Track“. Doch wer ist dieser Rance Allen? Das erste Album der „Group“ wurde 1970 veröffentlicht, „The Painter“ wiederum findet sich fünf Jahre später auf „A Soulful Experience“. Als ich das Lied zum ersten Mal hörte, dachte ich zunächst, da sänge Al Green etwas, das ich noch nicht kenne. Und diese Analogie ist so abwegig nicht: Beide kommen aus der Tradition des Gospels, beide setzen ihre Musik immer wieder auch als Medium der Predigt ein. Die entscheidende Gemeinsamkeit liegt aber vor allem in der Reinheit der Stimmen: Wie Al Green könnte auch Rance Allen über ranziges Pommesfett singen, es würde trotzdem klingen wie aus dem Hohelied der Emotionen, als wenn der Musik in jeder Textzeile mit „Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön“ gehuldigt würde. So gibt es in „The Painter“ kaum eine stimmliche Nuance, die Rance Allen nicht erreichen würde, und darum braucht dieser Maler auch kein vorgegebenes Strophe-Bridge-Refrain-Schema, um vom ersten Hören an die allerschönsten Farbassoziationen ins synästhetische Gedächtnis zu brennen. Mir ist jetzt jedenfalls klar, warum ich mich bei der ersten Textzeile erst verhört habe, und zwar: „I’m gonna paint a blue (sic!) day“ (und nicht „new day“). Eine mir im Nachhinein übrigens sehr sympathische Fehlleistung.

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Blut, Schweiß und Tränen

Antony & The Johnsons in der Schorndorfer Manufaktur, 17. Juni 2005

Die schwere Hitze sitzt uns bereits im Nacken als wir in die Manufaktur eintreten. Drinnen legt sie uns noch weitere Gewichte um den Hals. Der Saal ist recht gut gefüllt, alle Stühle sind besetzt. Schweiß wohin man riecht. Ich versuche meinen von der langen Fahrt müden Körper mit Flüssigkeit zu stärken, doch es nützt nichts, ich muss unbedingt sitzen. Entlang der rechten Seite, zwischen Wand und Stuhlreihen, tun sich noch einige Lücken auf. Wir versuchen so weit wie möglich nach vorne zu gelangen, endlich kann ich mich auf den Boden sacken lassen, meinen Rücken gegen die Wand lehnen und mich über die fast freie Sicht freuen.

Rechts von mir streckt ein Mädchen blasse, aber kräftige Beine unter einem luftigen Rock hervor und dreht mir ihre schön geschwungene Schulter zu. Ihr Alter ist schwer zu schätzen, sie wirkt jedenfalls noch sehr jung. Unruhe und ein derber Geruch von Fruchtbarkeit gehen von ihr aus. Endlich, das Licht wird gedämmt. Doch dann passiert eine ganze Weile gar nichts. Mein müder Blick folgt heimlich den Fingerkuppen des Mädchens, die auf nervösen Wegen über schwitzige Knie trippeln. Dann werfen ein paar Leuchter bunte Kegel auf die Bühne, dort wo neben einem gewaltigen Piano Cello, Bass, Violine und Akkordeon aufgereiht sind. Applaus: Fast lautlos schleichen einige Musiker zu den Instrumenten und nehmen vorne rechts ihre Plätze ein. Wieder Applaus als schließlich eine mächtige und schwammige Masse Mensch mit langem schwarz gefärbten Haar, dunkelroten Doc Martens und einer Umhängetasche an ihnen vorbeischlurft und sich an den Flügel setzt. Dann geschieht etwas für mich Außergewöhnliches. Bis dahin hatten Müdigkeit und drückende Hitze eine trübe Gleichgültigkeit in mir genährt. Als sich jedoch die traurig nach unten gebogene Sichel im feisten Gesicht dieses Meat Loafs einen Spalt weit öffnet und daraus die ersten zaghaften Töne durch den Raum schwirren, stürzt ein unerwarteter Schwall von Emotionen auf mich herab. Und zwar mit einer derart einnehmenden Gewalt, dass ich nicht anders kann, als mich dieser Stimme, die im Gender-Nirgendwo zwischen Elvis und Billie Holiday vorwurfsvolle Klagelieder an ein falsch auferlegtes Geschlecht richtet, hemmungslos hinzugeben.

Überall im Saal aufrichtige Ergriffenheit. Ich schließe die Augen und lasse alles willig mit mir geschehen. Vielleicht werde ich nie wieder so im Reinklang mit mir Lächeln, denke ich. Und ganz sicher werde ich nie wieder so dämlich dabei aussehen. Aber das ist mir in dem Moment egal. Sogar als mir ein paar Tränen über die Wange laufen, empfinde ich keine Scham.

Ich öffne die Augen erst wieder, als das Mädchen neben mir immer unruhiger wird. Man hört sie mit einer Freundin tuscheln. Hektisch klaubt sie ihre Sachen zusammen, schnellt auf, schiebt sich an mir vorbei und mit ihr ein Brodem von kruder Weiblichkeit. Auf dem Platz, wo sie gesessen hat, bleibt dunkle Schliere auf dem Boden zurück. Es ist ganz offensichtlich, dass das Mädchen menstruiert hat. Niemand saß an diesem Abend wohl näher an den Koordinaten der Antonyschen Selbstfindungstherapie als dieses blutende Mädchen. Denn in seiner Trauer – über den falschen Körper, mit dem er zur Welt kam, über die Frau, die er nie sein durfte, über die Kinder, die er niemals würde gebären können – menstruiert auch Antony. Jedes Lied eine neue quälende Monatsblutung, der immer wieder aufs neue heraufbeschworene Schmerz über die verpasste Chance eines vielleicht erfüllten Lebens. Antonys Geschichten erzählen von diesen ausgeschlagenen Möglichkeiten: Denn dort darf auch ein Jabba the Hutt verführerische Venus spielen, darf von wohlriechenden Stuttgarter Buben schwärmen, Frau sein und sich als hilfloses Kind gebären. So wie im Schlussakkord des vierten Liedes auf "I am a bird now": “Forgive me, Let live me, Set my spirit free, Weakness sown, Overgrown, Man is the baby”.

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Freitag, 25. Februar 2005, Essen, Grend: Maximilian Hecker sieht aus wie ein bulgarisches Mädchen oder zumindest so, wie in meiner Vorstellung die Mädchen im Sofia der 70er wohl rumgelaufen sein müssen: blasser Teint, grau geschminkte Augenlider, strohiges Haar, das weit unter den Ohren auf der Wange und im Nacken kitzelt und schließlich weiße No-Name Turnschuhe, die in unruhigen Abständen ein Pedal treten. Ich stehe direkt vor der Bühne, mein Blick kann von links unten in seine Nasenlöcher kriechen und ihn beim Singen beobachten. Dabei öffnet er nicht einfach bloß den Mund und stößt Laute aus, nein, der untere Teil seines Gesichts präsentiert ein eigenwilliges Zähnefletschen. Mit halb zugekniffenen, im Glanz des roten Bühnenlichts gleichgültig wirkenden Lidern zieht er seine Oberlippe bis zur Nasenspitze hoch, bleckt den cremefarbenen Schmelz schöner Zähne und zeigt dem andächtigen Publikum, wie man in den Rhodopen für gewöhnlich wohl stilvoll vor die Hunde geht. Die Musik hätte was von einem feierlichen Abschied, wären da nicht die knorrigen Gelegenheitskommentare der Balkan-Bracke da oben, welche das Kleinwild da unten dazu veranlasst, alles doch nicht ganz so tragisch zu nehmen, ab und zu mal vor sich hin zu kichern und sich nach dem Konzert noch eine CD vom Künstler zu kaufen.

Zwei Tage später, Bochum, Bahnhof Langendreer: Es dauert seine Zeit bis Adam Green auf die Bühne stelzt. Vorher passiert erst mal eine Zeitlang gar nichts, nur die Körper rings herum schmiegen sich immer enger aneinander und beschließen den regen Austausch von schwitziger Wärme. Dann fangen doch noch die „Gnomes“ an zu spielen, eine Band, die keinen Bandleader zu haben scheint, immerhin aber einen Typen, der in der Mitte steht und so etwas ähnliches wie „weeahhr the nones“ ins Mikro knödelt. Das erste Lied wurde vermutlich an einem langweiligen Sonntag in einem verrauchten texanischen Diner geschrieben. „Oh je“, denke ich mir, der ich mal gerade so gar keine Lust auf fiesen Country habe. Die darauf folgenden Lieder sind aber besser oder zumindest unterhaltsamer, vor allem der Bass-Spieler kann was und verleiht der Musik dann doch einen gewissen Indie-Charme. Die Burschen spielen zum Glück nicht zu lange und nach einer weiteren Pause steht endlich Adam im Rampenlicht. Die Reihen energiegeladener Körper vor mir verdecken teilweise die Sicht, ich kann Adams Beine nicht sehen. Auf mich wirkt es, als wären sie auf einem kreuz und quer über das Podium fahrenden Fließband festgebunden. Mit ulkig-zackigen Bewegungen eiert er von einer Ecke in die andere und schafft es, während des gesamten Konzertes seine regungslosen Augen wie zwei bemalte Ping-Pong-Bälle aussehen zu lassen. Nicht ein einziges Blinzeln stört den trägen Blick unter der „Ich war schon mal in New-York“-Frisur dieses jugendlichen Derricks. Nach zwei Zugaben ist auch diese Show vorbei. Ich überlege mir beim Rausgehen, wie es wohl wäre, wenn Maximilian Hecker und Adam Green mal ein gemeinsames Projekt in Angriff nehmen, etwa eine Hörbuch-CD, auf der sie Bibel-Texte rezitieren. Bei der Gelegenheit könnten Sie auch gleich das mit dem Auge und dem Zahn auf ihre Weise richtig stellen.

Taana Gardner - Heartbeat

The Paradise Garage, Greenwich Village, 84 King Street. Irgendwann Anfang der 80er legt Larry Levan – eine, wenn nicht DIE DJ-Legende der Disco-Ära – eine neue Testpressung auf seinen Teller. Vier oder fünf mal spielt er sie und jedes Mal fegt er damit die Tanzfläche leer. Nur 105 Beats pro Minute. Vielleicht zu langsam für dieses handverlesene Publikum, welches daran gewöhnt ist, schnelle unerschrockene Disco-Stampfer vorgelegt zu bekommen, die erst hier zünden müssen, bevor sie ihren Siegeszug über die Tanzflächen der restlichen Welt antreten können. Doch Larry gibt nicht auf. Immer und immer wieder wird er in den nächsten Wochen versuchen, das Herz der Menge mit dem von Taana im Takt schlagen zu lassen, jeden Abend ein paar mal. Und seine Liebe für dieses Lied, sein Glaube daran, sollen sich auszahlen. Schließlich drängt das Volk immer zahlreicher aufs Parkett, zuletzt will man die Musik um keinen Preis verpassen. „Heartbeat“ wird zum Riesenhit und ist bis heute eine der meistverkauftesten 12-inches von West End Records.

Wie Sperrholzplatten, die von einem Fließband aus großer Höhe auf Marmor krachen: So schlägt sich der Beat über die Hirnwindungen in den Bewegungsapparat, der, einmal in Gang gesetzt, keine Erschöpfungszustände mehr zu kennen scheint. Im Refrain wird Tanas Stimme ein wenig hysterisch, überschlägt sich geradezu mit ihren Huldigungen an „ihr Herz“ – ihr zur Seite steht der Gegenpol eines taktvollen, aber durchaus leidenschaftlichen Gruppengesangs. Man braucht ein paar Durchläufe, um dieses üppige Angebot an akustischen Reizen, an denen sich Erregung in Bewegung entladen kann, in seiner ganzen Fülle aufzunehmen. “Moving all around, from my head to the ground“, heißt es, kurz nachdem sich alles tatsächlich auf einen Herzschlag reduziert hatte. Dann purzeln wieder ein paar Holzplatten herab und gerade als man denkt, nun könne ja nichts mehr kommen – nachdem Taana noch ein paar Worte des Abschieds gesprochen hat, wartet man nur noch auf das Fade Out – setzt ein derart unverschämt jaulendes Funkriff ein, dass man glaubt, den Saiten der Gitarre wurde es nur unter Androhung von Schmerzen entlockt. Ein Keyboard drückt noch ein paar beruhigende Tupfer auf die wunde Stelle bis die Musik sich schließlich doch in eine verheißungsvolle, aber traurig unerreichbare Ferne auf und davon macht. 105 Herzschläge pro Minute. Keinen davon möchte man verpassen.

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daft punk - da funk

vielleicht drei oder vier mal habe ich sie tanzen sehen: muriel, die spanierin, muriel, die austauschstudentin, die im selben wohnheim ein zimmer hatte. so lief man ihr gelegentlich über den weg. ihr äußeres entsprach keinem gängigen schönheitsideal, sie machte auch nicht den eindruck, sich gegen auferlegte ästhetische konventionen behaupten zu wollen. der wunsch, mit ihr zu schlafen – ein wunsch, den ich mir zu unterdrücken befahl, weil ich zu jener zeit in einer beziehung steckte – kam bei mir das erste mal auf, als ich sie tanzen sah: zu "da funk" von daft punk.

thomas bangalter und guy-manuel de homem-christo: solchen namen weist man nicht die tür, auch wenn sie ordentlich dagegen treten. und wenn es schon wummst, dann bitte richtig. was schimpft da so rum? ein keyboard durch den filter gejagt? es klingt jedenfalls wie das elektrifizierte maulen eines hungrigen katers. so macht er im takt auch erst einen kleinen buckel bevor er davonspringt. dabei das motzende tier immer vorneweg. schließlich trifft er ein paar leidensgenossen, sie alle stimmen ein in den krittelnden chor monotoner vielstimmigkeit, von der man beim tanzen versucht ein teil zu sein.

aus dem schutz einer zappelnden masse glitt meine aufmerksamkeit über die tanzfläche und fand in muriel ein faszinierendes studienobjekt. es waren ihre ungekünstelte, leicht nach vorn gebeugte haltung und ihr vor stärke strotzender blick, die mich in ihren bann zogen. ihr körper beschrieb buckelnde, aber zugleich auch sehr weiche figuren, während sich aus ihren augen eine ungeheure spannung entlud. mit all ihren bewegungen brannte sie so eine exakte darstellerische wiedergabe der musik in die luft. ihr tanz machte nicht nur sie, sondern auch die musik begehrenswert und belegte beides zugleich mit einem tabu. wie ich beschloss, nie ein wort mit muriel zu wechseln, so verleugnete ich "da funk" für die dauer der beziehung, in der ich steckte. erst nach ihrem ende konnte ich das lied ungeniert genießen, hätte ich es zuvor irgendwo, außerhalb der tanzfläche, zufällig gehört: das verräterische blitzen in meinen augen würde wohl meine wahren gedanken offenbart haben. disco im jahre 1996 - das lag für mich an einem geheimen ort irgendwo zwischen verbot und begehren.

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bran van 3000 - predictable

stell dir vor, da ist dieses mädchen, eine jener klassischen, unschuldigen, mit augen, die viel zu groß sind, um an ihnen vorbei schauen zu können; mit einer direktheit, die viel zu entwaffnend ist, um sich ihrer entziehen zu wollen. wie sie die gitarre so drauflos spielt und ihr gesang dich rührt, gerade weil er etwas schräg ist und nicht jeden ton trifft, fühlst du dich auf einmal wieder ein kleines bisschen hippie, ein kleines bisschen 17, wie damals halt, als du noch glaubtest, dass alles möglich und jede richtung ein versprechen sei. heute formulierst du andere glaubens-sätze, von wegen schlager sei der feind und die aussicht auf glückseligkeit suspekt. für einen moment streichst du diese sätze im geiste durch und lässt das mädchen singen. wie die hand nach dem steinernen herz greift sie in deine brust. und wie du das hier so aufschreibst, denkst du, das liest sich ja wie arno schmidt goes rtl, aber du schreibst weiter, hörst wieder auf den gesang, auf die worte, die er ungekünstelt vorträgt: "for once in your life / just say I'm worthy". und dann: "and I admit it is easy to sing to you / first, personally / call it the need to only talk about me / call it the need to feel". und schließlich, immer wieder, nur für dich "I am shining", "I am shining", "I am shining". danach kurzes inne halten. du bildest dir ein, sie hätte nur für dich gesungen. du erfährst die banale erkenntnis, dass das nicht stimmt. du denkst, du hast nun zeit, herauszufinden, ob deine ergriffenheit authentisch ist. und dann auf einmal kracht ein technicolor-beat in die stille, reißt alle vorherigen gedanken mit sich hinfort, macht sie hinfällig, von nun an koordiniert ein stumpfer rhythmus deine bewegungen, du kannst da nicht raus, du willst da nicht raus, die gedanken sind blei, du willst tanzen, tanzen, tanzen und dich schön fühlen. "it's so predictable to want to feel so beautiful".

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the family - river run dry

ein verregneter samstagabend irgendwann 1990. fast alles in dem auto, in dem ich sitze, ist falsch: der fahrer, der es lenkt: schmaler mund, der kläfft, wenn er sich öffnet, karohemd, blaugestreifte tennissocken, den rechten arm beim lenken gerade durchgedrückt, dabei das handgelenk nach oben abgeknickt, damit die finger sicher um das schwarze leder greifen können. in meinem kopf entsteht ein hassklischee erster güte: der prototyp eines mit beiden beinen im leben stehenden und mit seinem einen schwanz im after kleiner jungs steckenden fürsorglichen familienvaters. neben ihm seine langweilige, weil allem immer irgendwie unverbindlich und ihrem lenker stets unterwürfig-loyal ergebene freundin. hinten zu meiner linken schließlich jener freund, der die verbindung herstellt zwischen mir und diesem heuer vermutlich im kabinett gruseliger kuriositäten ausgestellten quasi-ehepaar. völlig falsch ist auch die richtung, in die das auto fährt. schon seit geraumer zeit kurvern wir um den parkplatz eines aus der rückschau absolut indiskutablen slipper-schuppens. wer war ich damals, dass ich mit in solche läden wollte? wer werde ich in 15 jahren sein und was wird mein zukünftiges ich aus den augenblicken machen, die mir heute als glücklich und richtig erscheinen?

mein blick geht durch die schlierige scheibe hinaus auf die lange reihe von menschen, die vor dem schuppen um ihren einlass betteln. kein parkplatz in sicht und dazu noch die aussicht, stundenlang im regen anstehen zu müssen. doch einen lichtblick gibt es für mich an diesem trostlosen abend. aus den boxen des autoradios breitet sich das ruhige timbre der stimme von alan bangs aus. eine stimme, welche für die insassen dieses fahrbaren gefängnisses wie die eines außerirdischen aus einer anderen welt geklungen haben muss, obwohl sie ja die eigentlichen aliens waren. ja, samstag nachts lief zu jener zeit, also zwischen 22 und 24 uhr, immer die "alan bangs connection". und alan bangs spielte an jenem abend, neben vielen anderen liedern und über die ganze sendung verteilt, fast das gesamte album von "the family".

von diesem side-project hatte ich zu jener zeit in einer prince-biographie bereits was gelesen. das album selbst war recht bald vergriffen, wurde aber 5 jahre nach seinem ersten erscheinen, dank des riesenerfolges von "nothing compares 2 u", wieder neu aufgelegt. denn das orginal von "nothing compares 2 u" wurde nicht, wie viele zu unrecht vermuten, von prince interpretiert, sondern eben von "the family". die auf dem plattencover abgeblideten musiker waren zum guten teil nur deko, prince hatte so ziemlich alle lieder selbst geschrieben und auch das meiste eingespielt. "so ziemlich alle lieder" heißt alle bis auf eins.

alan spielt zunächst das orginal von "nothing compares 2 u" und lässt verlauten, dass im weiteren verlauf der sendung noch mehr von dem album zu hören sein wird. ich bitte den kleine-jungen-schänder entgegen seiner zu erwartenden gewohnheit, nicht den sender zu wechseln, er spreizt die finger seiner nach oben abgeknickten hand zum fächer, lässt sie nacheinander auf das leder des lenkrads klopfen und lächelt seine freundin an. diese lächelt lieb und nett zurück, ein wort fällt während dieser szene nicht, na hauptsache der sender bleibt und ich kann während der nun gänzlich ziellos gewordenen fahrt weiter alan bangs lauschen.

die erste stunde ist vorbei, es folgen die nachrichten. gleich darauf holpert ein beat mit jeweils zwei kurzen und zwei langen schlägen aus den boxen. tm tm tam tam, tm tm tam tam. streicher setzen ein, geben dem trockenen rhythmus einen dramatischen überbau, scheinen sich zu unermesslicher melancholie zu steigern, bis sie schnell wieder abflauen, um nun einer stimme das feld zu überlassen. "how long I cry? 'til the river run dry" singt st.paul. und als der beat wieder losschlägt, steht susannah ihrem partner bei. mit unermüdlicher kraft peitschen sie sich im wettlauf mit den wellen der verzweiflung schlagenden streichern gegenseitig hoch. doch der beat bleibt unerbittlich, er haut alles entzwei, die liebe war, natürlich, von vornherein zum scheitern verurteilt. zum scheitern in schönheit: "you never told me that our love, it had no chance". river run dry ist das einzige lied, auf dem "family"-album, das prince nicht geschrieben hat. es ist das beste. bald darauf ist es vorbei.

die sendung ist nun fast zuende. wie ich so aus dem fenster schaue, merke ich, dass wir bereits wieder auf dem heimweg sind. ohne ausgestiegen, ohne in diese lächerliche disco gegangen zu sein. ich richte meinen blick wieder auf das lenkrad, auf die nach oben gespreizten finger, die nacheinander auf das leder klopfen, um es dann mit starkem griff zu umschließen. "na wenigstens für dich hat sich der abend gelohnt", höre ich den fahrer kläffen, der weiß, dass ich prince-fan bin. seine hand will eine ruhige sichere führung demonstrieren. ich weiß nun, ich will künftig lieber selber mit meinem eigenen auto fahren.

carmen consoli - orfeo

das strahlende catania an einem schwülen augustnachmittag des jahres 2001. mit einer freundin schlendere ich durch die von der hitze erdrückten straßen dieser stadt, welche mir von klein auf das widersprüchliche bild von einem typischen und zugleich untypischen sizilien eingebrannt hat. als ich mit hilfe und rat der freundin in einem cd-laden nach neuer italienischer musik stöbere, entdecke ich „stato di necessità", das damals aktuelle album von carmen consoli. ihre musik kenne ich seit 1997, da sind mir ihre markante stimme und ihr etwas eigenwilliger gesangsstil erstmals in "confusa e felice" aufgefallen. carmen consoli ist, das cover lässt daran keinen zweifel, eine sehr schöne frau, es ist eines dieser fotos, die ganz bewusst darauf abzielen, beim betrachter gefühle von sehnsucht und begehren auszulösen. der händler klärt mich darüber auf, dass carmen ja aus catania stamme und jedes ihrer alben eine anschaffung wert sei. die freundin lächelt und meint, es würde erst einmal genügen, wenn ich in das neue album reinhöre, was ich dann auch tue. "orfeo" heißt das lied, das mir sogleich ins ohr fällt. eine sanft vorgetragene klage an den schönen kranken helden des herzens. da ich nicht weiß, wie lange ich diesem großangriff auf jene rezeptoren, die auch bei mir für gewöhnlich sehnsucht und begehren auslösen, standhalten kann, gebe ich mich frühzeitig geschlagen und kaufe die cd. einige tage später, ich bin schon wieder in deutschland, entdecke ich darauf einen hidden track, eine live-version von "orfeo". es klingt als müsse sich diese stimme einen durchgang durch die hitze der straßen von catania erkämpfen. il varco è vicino ed io sento già il tepore, singt sie. die klage, das tragische moment im lied ist noch da, aber unvermittelter, nicht mehr so berechnend auf die sensibilität einer mitleidenden zuhörerschaft zielend. dazu passt, dass der track versteckt ist, der hörer muss das lied finden, nicht umgekehrt. ich packe die live-version von "orfeo" auf das erste mixtape, das ich nach meiner rückkehr aus sizilien mache, und denke, es ist okay, wieder daheim zu sein.

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